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Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Rothfuss
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Ufer getreten ist. Zum Glück bemerkt niemand außer mir, wie mühelos Uriel dahingleitet und dass ihm weder Regen noch Schlamm zu schaffen machen.
    Wir mischen uns unter die anderen Wanderer und ihre einheimischen Führer und Träger. Es sind höchstens zwanzig Leute und einige würden am liebsten auf der Stelle umkehren. Mateo kommt mit gesenktem Kopf zu uns herüber. Er trägt einen strapazierfähigen Kapuzenparka, eine dunkle Hose und abgetragene Schuhe statt der Gummilatschen, die er am Abend davor anhatte. Außerdem schleppt er einen großen Rucksack, der fast so breit und hoch wie er selbst ist. Wir haben keine Träger angefordert und Uriel schaut fragend auf den großen Rucksack, als Mateo bei uns ist.
    „Essen, Wasser, Regenponchos, Decken, Erste-Hilfe-Ausrüstung“, erklärt er.
    Uriel will Mateo den Rucksack abnehmen, weil es seinen Stolz kränkt, dass ein anderer etwas für ihn tragen soll. Mateo zögert einen Augenblick, dann streift er den Rucksack ab und reicht ihn Uriel. Uriel wirft ihn sich über die Schulter und ignoriert die Hüft- und Brustriemen. Für ihn wiegt er nichts.
    Ich hole die Euroscheine, die Gia mir gegeben hat, aus meiner Tasche und drücke Mateo das ganze Bündel in die Hand. Von Bezahlung war bisher noch nicht die Rede gewesen.
    „Das ist für Sie“, sage ich. „1370 Euro, für uns alle drei. Mehr haben wir nicht.“
    Mateo schüttelt den Kopf und will mir das Geld wieder zurückgeben. „Ich kann das nicht annehmen, Señorita“, sagt er ernst. „Es ist zu viel für die paar Marschstunden. Sie haben mir gesagt: keine Träger, kein Bus, keine Unterkunft. Ich würde Sie auch ohne Geld begleiten. Es ist mir ein Vergnügen.“
    „Bitte!“, ruft Ryan über den rauschenden Regen hinweg. „Nehmen Sie es! Und wenn Sie es nicht brauchen, dann geben Sie es Gabino und seiner Familie. Als Dank für ihre Gastfreundschaft und weil sie sich um mich gekümmert haben, als ich dringend Hilfe brauchte.“
    Seine Stimme klingt bitter und ich weiß, dass er an seine eigene Familie denkt.
    Mateo nickt schließlich und verstaut das Geld in seiner Jackentasche. Aus der anderen zieht er unsere Papiere hervor, die in einer zerknitterten Plastikhülle stecken, und zwinkert Ryan und mir zu. „Und vergessen Sie nicht: Heute sind Sie Estelle Jablonski aus Mississauga in Kanada, und Sie sind ihr Freund, Clive Butler, auch aus Mississauga, Kanada.“
    Ryan schaut weg, ohne zu antworten.
    „Und Sie, Señor“, sagt Mateo zu Uriel, „sind Gerry McEntee junior aus Johannesburg, Südafrika. Okay?“
    Uriel zuckt die Schultern und Mateo verteilt die Papiere an uns. Die beiden gelangweilten Wächter am Checkpoint werfen kaum einen Blick darauf, und dann sind wir auch schon auf der schwankenden Chachabamba-Fußbrücke, unter der das Wildwasser tost.
    Ryan bekommt Atemnot, kaum dass wir den Aufstieg an einem grasbewachsenen Steilhang begonnen haben. In der Ferne leuchten die schneebedeckten Gipfel. Dunkle Sturmwolken jagen von Tal zu Tal und hin und wieder zucken Blitze auf. Obwohl es gerade erst neun Uhr morgens ist, herrscht ein seltsames Halblicht, und selbst für mich ist es unter diesen Umständen nicht einfach, Ryan auszumachen. Inzwischen ist er so weit zurückgefallen, dass er von einer anderen Reisegruppe, die nach uns aufgebrochen ist, überholt wird.
    Ich klettere den Hang wieder hinunter und fasse ihn automatisch am Arm. Ryan ist immer noch so wütend, dass er mich abschütteln will, aber ich lasse ihn nicht los. Er keucht heftig, und der Regen, der fast waagerecht gegen ihn peitscht, schießt ihm übers Gesicht wie Tränenströme.
    „Ich bin so weit weg“, krächzt er im Vorwärtsstolpern und schaut verbissen auf seine Füße, ohne die atemberaubende Graslandschaft um uns herum auch nur eines Blickes zu würdigen – geschweige denn mich. „Wenn ich mir vorstelle, was da alles passieren kann – und ich bin nicht da!“ Dann bricht es plötzlich aus ihm hervor: „Wenn wir uns doch nur nie begegnet wären!“
    „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, sage ich verletzt. So etwas würde ich nie denken, trotz allem, was passiert ist. Ryan ist mein Leben.
    Er stößt meine Arme weg. „Ich weiß auch nicht, Mercy. Ohne dich hätte ich Lauren nicht zurückgekriegt, klar. Aber mit dir zusammen bin ich nichts, total hilflos, obwohl ich doch gut auf mich selber aufpassen kann. Ich meine, zu Hause halten mich alle für einen harten Kerl.“ Er lacht rau, ringt nach Luft. „Ehrlich, ich komm mir so

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