Mercy, Band 4: Befreit
Däumchen drehen und zuschauen, wie Mercy sich am Coronado Beach freiwillig dem Teufel ausliefert.“
„Du bist nicht allein“, sagt Richard. „Du hast doch uns.“ Er zeigt auf sich und Lauren.
„Bist du jetzt gaga, oder was?“, schnaubt Ryan. „Lauren wird keinen Fuß an den Strand setzen – nur über meine Leiche.“
„Hallo? Ich bin auch noch da! Du kannst mich direkt ansprechen!“, wirft Lauren mit eisiger Stimme ein. Der Tonfall ist mir vertraut, weil Ryan auch manchmal so mit mir redet. „Und vielleicht gefällt es mir ja, mich mit dem Teufel anzulegen und ihm ins Gesicht zu spucken. Auf jeden Fall ist es meine Entscheidung, was ich mache, okay?“
Ryan und Lauren funkeln sich an.
„Es ist zu gefährlich …“, beginnt er, aber sie schneidet ihm das Wort ab.
„Was hab ich schon zu verlieren?“, schreit sie los. „Was soll mir denn noch passieren, Mann?“
Richard legt ihr eine Hand auf den Arm, aber sie schüttelt ihn wütend ab und sagt mechanisch: „Fass mich nicht an.“
Seufzend wendet sich Richard an mich. „Wir können meine Motorräder nehmen, dann musst du nicht allein zur Küste.“
Ich bin seltsam gerührt. „Nein, ich will keinen von euch in Gefahr bringen. Trotzdem danke“, füge ich leise hinzu.
„Und wie willst du uns dran hindern, wenn wir einfach mitkommen?“, entgegnet er stur.
„Wenn ihr einfach mitkommt?“ , äffe ich ihn ungläubig nach. Und plötzlich erstrahlt der ganze Raum im Licht und der Macht der Elohim. Gabriel und Uriel, Jeremiel und Barachiel, Jehudiel und … Michael. Flügellos, schön und unmenschlich ragen sie über uns auf.
„Schwester“, sagen sie wie aus einem Munde und Lauren und Richard starren sie ehrfürchtig an.
Michaels Blick ist schmerzerfüllt. Langsam schwebt er auf mich zu, aus vielen Wunden blutend, und nimmt meine kleine Hand in seine starken Hände.
„Erzähl“, sagt er leise.
Und ich erzähle ihm alles, was passiert ist, seit wir uns zuletzt in Mailand gesehen haben. „Luc will mich gegen Raphael eintauschen“, sage ich mit tonloser Stimme, „und wenn ich mich stelle, werden alle in der neuen Ordnung, die er erschaffen will, zu ihrem Recht kommen – falls ihr ihm das abkauft.“
„Nichts als Lug und Trug“, murmelt Michael.
„Ja, sicher“, erwidere ich angstvoll. „Zu etwas anderem ist er nicht fähig.“
Michael schaut Ryan an, der hinter mir steht.
„Ich danke dir, dass du Wort gehalten hast“, sagt er. „Und dass du sie gehen lassen wirst, wenn der Augenblick gekommen ist.“
„Was bleibt mir denn anderes übrig?“, sagt Ryan bitter. „Ich kann sie nicht zwingen dazubleiben. Aber den Tod hat sie nicht verdient.“
„Sie wird auch nicht sterben“, herrscht Michael ihn an und Ryan wird blass bei seinem schneidenden Ton. „Es ist nicht unsere Art, Luzifer eine der Unseren zu opfern. Schau hinaus.“
Michael zeigt auf Laurens Fenster und Ryan und ich sehen hinaus. Draußen ist niemand mehr. Ich winke Lauren und Richard herüber und lehne mich an Ryan.
„Seht, seht doch!“, sagt Michael.
Seine Stimme ist wie ein warmer Windhauch, der durchs Zimmer weht, als wir auf die dunklen Dächer von Paradise hinausblicken. Winzige Lichter zeichnen sich vor der dicken schwarzen Wolkenwand am Himmel ab – ganze Schwärme von Lichtern, die auf die Erde herunterschweben, sich zu einer schimmernden Masse verdichten und verschwinden. Ein ebenso schöner wie unheimlicher Anblick.
„Elohim, Malachim, Ophanim, Seraphim und einige andere mehr“, erklärt Michael leise. „So viele, wie wir entbehren konnten.“
„Das ist ja wie am Jüngsten Tag“, haucht Richard neben mir.
Lauren lehnt an meiner Schulter, still und reglos wie eine Marmorstatue. Mit großen Augen schaut sie hinaus, eine steile Falte auf der Stirn.
„Wie kann es sein, dass ihr bei solchen Zahlen jemals verliert?“, ruft Ryan fassungslos. „Ihr müsst doch viel mächtiger sein als diese abartigen Mutanten, die Luc ins Feld führt! Macht ihn doch endlich fertig, Mann, erledigt ihn! “
Jeremiel hinter uns murmelt: „Wenn die Engel, die hier auf die Erde kommen, fallen, gibt es keinen Ersatz für sie. Wir können keine neuen schaffen, so wie Luc.“
Ich starre zum Himmel hinauf, der wieder tintenschwarz ist. „Luc bekommt, was er will“, sage ich schließlich, und ich spüre, wie Ryan neben mir erstarrt. „Mich im Tausch gegen Raphael.“
Ryan wirbelt herum und schüttelt mich. „Was redest du da?“, schreit er mich an.
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