Mercy, Band 4: Befreit
obwohl ich genauso gut versuchen könnte, einen Stein zu erweichen. „Er hat mich ins Leben zurückgebracht, Uriel. Er hat mich geliebt, als ich ein Bild des Jammers war. Er hat mich gesehen und in jedem neuen Leben wiedererkannt, obwohl er nie mein wahres Gesicht erblickt hatte. Ja, ich weiß, ich hätte nicht auf Luc hereinfallen dürfen, und ihr werdet mir diese einzige Jugendtorheit nie verzeihen. Aber was Luc jetzt anrichtet – die Verwüstung, den Schrecken, das Böse, das er über die Welt bringt –, geschieht nicht in meinem Namen, sondern allein in seinem.“ Ich halte einen Augenblick inne, dann füge ich hinzu: „Für alle außer Ryan werde ich immer eine Gezeichnete sein, eine Verbannte. Er verdient zumindest, dass ich ihm sage, wie sehr ich ihn liebe, und dass ich ihn nur schweren Herzens gehen lasse. Ryan hat schon genug durchgemacht, glaub mir. Gabriel weiß, was er mir bedeutet. Er würde mich verstehen.“
„Gabriel hatte immer eine Schwäche für dich“, knurrt Uriel und lässt mich widerwillig los. „Und ich neuerdings auch, denn dieses eine Mal werde ich dir erlauben … nun, ich erlaube dir, süße Abschiedsworte mit deinem schönen Sterblichen zu wechseln, aber dann musst du gehen. Und zwar endgültig.“
„Aber Gabriel …“, wimmere ich.
„Was soll mit ihm sein?“, faucht Uriel. „Ich hole ihn allein dort heraus. Ich werde die Dämonen zerschmettern, die ihn festhalten, so wie das Höllengezücht, das einst die Heilige Stadt geschändet und jeglichen Lebens beraubt hat. Aber vorher begleite ich dich zu deinem Sterblichen und überzeuge mich mit eigenen Augen davon, dass du auch wirklich gehst. Diesmal gibt es kein Entrinnen.“
Ich sehe Uriel an, erkenne die ganze Macht, den Hochmut, die Unbeugsamkeit in ihm, die uns Erzengel auszeichnet. „Du warst immer ein Tyrann“, sage ich bitter.
„Nein, nur ein Realist“, erwidert Uriel scharf. „Es gibt keine andere Möglichkeit und du weißt, dass ich Recht habe.“
Als ob mich das trösten könnte.
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen und weine, weine Feuertränen, die durch meine Finger auf den Fels fallen und einen Augenblick wie Diamanten erstrahlen, um dann in der eisigen Nachtluft zu verschwinden.
„Tränen? Für einen Sterblichen?“, murmelt Uriel verwundert, aber er macht keine Anstalten, mich zu trösten, weil ich ja selbst schuld daran bin. „Was ist nur aus dir geworden?“
„Ich bin, wozu ihr mich gemacht gehabt“, schluchze ich. „Ihr Acht. Und auch Luc. Ein Wesen, das weder Liebe noch Mitleid verdient. Aber weil ich mir treu bleibe und zu meinem Wort stehe, werde ich meine Pflicht erfüllen. Ich werde tun, was du mir befiehlst. Wenn du jedoch mitkommen willst“, füge ich hinzu, und jetzt liegt Verachtung für ihn in meiner Stimme – für diesen Erzengel, der so makellos, so königlich über mir steht, der Inbegriff des Erhabenseins, der Allmacht, „wirst du dich ausnahmsweise nach mir richten müssen, und nicht umgekehrt.“
Den Narita International Airport zu finden, ist ein Kinderspiel. Selbst um vier Uhr morgens reißt der Verkehrsstrom dorthin nicht ab, und draußen vor den Ankunfts- und Abflughallen warten Hunderte Taxis und Mietwagen in einer stinkenden grauen Abgaswolke.
Das Innere des Gebäudes ist hell erleuchtet. Als die Schiebetüren aufgehen und uns die heiße, stickige Luft entgegenschwappt, nehme ich wieder einmal zu viele Dinge auf einmal wahr: Ankunftstafeln, Menschenschlangen an den Ticketschaltern und Telefonzellen. Überall haben sich Reisende zum Schlafen hingelegt, halten jeden verfügbaren Platz besetzt, ob mit oder ohne Gepäck. Ein Meer von Menschenleibern, Farben, Lärm, Gerüchen und Energie schlägt uns entgegen, und Uriel und ich weichen unwillkürlich zurück.
Ich hatte erwartet, dass der Flughafen um diese Zeit verlassen sein würde, und nun wimmelt es hier von Menschen. Es ist also, wie Uriel sagt: Luc hat einen schrecklichen Prozess in Gang gesetzt, den nur ich allein stoppen kann. Zumindest kann ich dafür sorgen, dass er nicht auf andere Welten übergreift. Der Narita International Airport ist nur ein Flughafen unter vielen. Und wenn die Erde an so vielen Orten gleichzeitig in Aufruhr gerät, muss Luc dahinterstecken.
Ryan ist nirgends zu sehen.
„Multipliziere, was du hier siehst, mit allem Leben im Universum“, sagt Uriel bitter, „und dann sag mir, ob du eine andere Wahl hast, als diese Sphäre zu verlassen.“
„Kannst du ihn sehen? Ryan, meine
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