Mercy, Band 4: Befreit
liebe dich und es tut mir so leid.“
Na also – jetzt ist es heraus, ich habe die Worte ausgesprochen, die er immer von mir hören wollte, und damit endet die Zeit, die uns beschieden war. Das hier ist nur eine kleine Zugabe. Bald wird Uriel mir auf die Schulter tippen und ich werde Ryan in diesem Leben nie mehr wiedersehen.
Ryan zwingt mich, ihn anzusehen, und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Er wischt mir die Tränen mit den Daumen ab, aber es kommen ständig neue.
„Hey“, sagt er, „ist ja gut, Mercy, ich hab dich auch vermisst. Aber das war mir egal, und es kam mir auch gar nicht so lang vor. Ich hätte noch ewig weiterwarten können. Hauptsache, du bist jetzt da.“
Er zieht mich wieder an sich, atmet in meine Haare, küsst meinen Scheitel, lässt alle Angst und Anspannung von sich abfallen.
„Ich liebe dich auch“, murmelt er glücklich und schaut mir in die Augen. „Und ich wüsste nicht, warum dir das leidtun sollte. Ich bin froh, dass du’s mir endlich gesagt hast. War doch gar nicht so schwer, oder?“
„Aber verstehst du denn nicht“, schluchze ich leise. „Uriel ist da, bei mir. Und er sagt, das war’s. Wir müssen uns trennen. Ich bin nur hergekommen, um dir Lebewohl zu sagen. Das ist ein Abschied .“
„Was?“, fragt Ryan erschrocken und sieht sich hektisch um. „Das ist doch ein Witz, oder?“
Ich schüttle den Kopf und meine Tränen – meine glühenden Tränen – fallen unablässig weiter, als würden sie nie versiegen. „Uriel ist mitgekommen, weil er mir nicht traut. Er will mit eigenen Augen sehen, ob ich auch wirklich gehe. Und deshalb sag ich dir jetzt Lebewohl. Ich liebe dich und werde dich immer vermissen. Und es tut mir so schrecklich leid.“
Ryan erstarrt in meinen Armen. Ich spüre, wie sein Atem stockt und dass er vor Verzweiflung keine Worte findet.
„Flieg … nach … Hause“, bringe ich mühsam hervor. „Ich werde dafür sorgen, dass die Acht zu jeder Stunde über dich wachen, über dich und deine Schwester. Luc darf nie wieder die Hand gegen dich erheben. Das sind sie mir schuldig. Du hast genug durchgemacht.“
Ich schenke ihm ein zittriges Lächeln und sage flehentlich: „Such dir ein nettes Mädchen. Du findest was Besseres als mich – oder diese Brenda. Lebe, Ryan, und sei glücklich. Das wünsche ich dir.“ Meine Stimme versagt, und ich schluchze auf. „Ich komme wieder“, sage ich unter Tränen. „Das verspreche ich dir. Und es wird dir nicht länger vorkommen als heute – nur eine kleine Wartezeit am Flughafen. Glaub mir, ich finde dich. Eines Tages finde ich dich und vielleicht können wir dann für immer zusammen bleiben.“
Ryan öffnet den Mund, aber es kommen keine Worte heraus. Er wirft den Kopf zurück und sieht stumm zur Decke. Als er mich endlich wieder anschaut, sind seine Augen gerötet, und er sagt mit heiserer Stimme: „Mercy, ich …“
Aber dann fasst ihn eine behandschuhte Hand an der Schulter. Erschrocken fahren wir herum. Der Mann trägt eine dunkle Uniform und ein weißes Hemd. Er ist ein hellhäutiger, glatt rasierter Typ, Brillenträger, unscheinbar. An seinem Hemdsärmel prangt ein schwarz-goldenes Stoffwappen und sein kurzes schwarzes Haar ist von grauen Strähnen durchzogen.
Er spricht nicht mit uns, deutet nur stumm auf einen zweiten Uniformierten hinter ihm. Dann nickt er uns kurz zu, bedeutet uns, dass wir ihnen folgen sollen.
Ich mustere die beiden Japaner, die in dem überhitzten Raum heftig ins Schwitzen kommen. Die Energie, die sie ausstrahlen, ist irgendwie gedämpft, aber unverkennbar menschlich.
Trotzdem wundere ich mich, dass sie weder mit mir noch mit Ryan sprechen, und auch nicht miteinander. Beide starren Ryan die ganze Zeit an, als hätten sie ihn irgendwo schon mal gesehen.
Ryan und ich wechseln einen betroffenen Blick, dann hebt er seinen Rucksack auf. Der Beamte packt Ryan noch fester an der Schulter und marschiert einfach los, sodass Ryan nichts anderes übrig bleibt, als hinter ihm herzustolpern. Er hat nicht mal Zeit, seinen Rucksack überzustreifen.
„Ähm, tut mir leid, aber das muss eine Verwechslung sein“, protestiert Ryan. „Ich will ja gar nicht wegfliegen oder so. Entschuldigen Sie, Sir – könnten Sie mich jetzt bitte loslassen?“
Mich beachten die Männer gar nicht, und so bleibt mir keine andere Wahl, als hinterherzugehen. Ryan wird durch eine Reihe von automatischen Türen gescheucht, bis wir in einem Raum voller Maschinen landen, die wie glänzende
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