Mercy, Band 4: Befreit
Stahlportale aussehen. Zwei uniformierte Japanerinnen nicken unterwürfig, als die beiden Beamten ihnen bedeuten, dass Ryan durch eine der Metallschleusen gehen soll.
Ryan lässt resigniert seinen Rucksack auf den Boden fallen. „Sie werden nichts finden“, brummt er vor sich hin.
Eine der beiden Frauen winkt Ryan mit ihrer behandschuhten Hand zu sich, und der Beamte schubst ihn grob in eine der Schleusen. Ein kleines viereckiges Lämpchen an der Seite leuchtet grün auf. Ich schaue der Frau über die Schulter. Da taucht zu meinem Schrecken ein gespenstischer menschlicher Umriss auf dem Bildschirm auf, vor dem sie sitzt. Es dauert einen Augenblick, bis ich begreife, dass es sich um ein Bild von Ryan handelt. Wahrscheinlich ist das ein Scanner oder so, denke ich, und beuge mich fasziniert vor, während die Frau ein paar Tasten anschlägt.
Der Beamte, der Ryan in das Gerät geschubst hat, wirft ebenfalls einen Blick auf den Bildschirm und scheint genauso fasziniert wie ich.
Die Frau zeigt auf ein paar Stellen, dann zuckt sie die Schultern und sagt etwas auf Japanisch. „Nichts. Keine Gefahr. Sauber.“ Sie winkt Ryan wieder zu, signalisiert ihm, dass er fertig ist.
Ryan wirft dem Beamten neben sich einen eisigen Blick zu, dann greift er misstrauisch nach seinem Rucksack, als befürchte er, dass sein Gepäck konfisziert werden könnte. Aber niemand interessiert sich für seinen Rucksack.
Ryan kommt bereits auf mich zu, als der zweite Beamte mich brutal von hinten packt und in das Metalltor stößt. Ein seltsames Piepen ertönt.
Die Japanerin tippt erneut auf der Tastatur herum, sieht den Beamten hinter mir an und sagt entschuldigend: „Das Gerät muss defekt sein, Sir.“ Dann wendet sie sich an den anderen der beiden, der immer noch auf den Bildschirm schaut: „Hier, sehen Sie – nichts als Wolken.“
Die Zeit scheint bei ihren Worten einen Augenblick stillzustehen, bevor sie wieder einsetzt.
Ryan ruft fast wie in Zeitlupe: „Mercy! Hinter dir!“
Ich drehe mich um und sehe gerade noch, wie der jüngere Beamte auf dem Boden zusammensackt. Etwas Dunstiges, Blasses, weit über zwei Meter groß, steigt aus seinem Körper und ragt über mir auf. Das Ding hat etwas vage Menschliches, aber ohne erkennbare, individuelle Züge, und die Energie, die ich auffange, ist eher monströs als menschlich und löst eine seltsame Übelkeit in mir aus. Das Gebilde schwankt auf der Stelle, als wollte es sich im nächsten Moment aufschwingen.
Ich weiß nicht, was es ist, aber es muss sehr alt sein, ein Wesen, das von anderen Besitz ergreifen kann. Ein Körperfresser. Und es ist schlau. Es verwendet die Energie seines menschlichen Wirts dazu, seine eigene Energie zu verbergen. In gewisser Weise ist es mit mir verwandt, aber so entfernt, dass bei mir sämtliche Alarmglocken läuten.
Noch bevor ich mich wieder zu Ryan umdrehe, weiß ich, was ich dort sehen werde: Aus dem Körper des anderen Beamten, der Ryan vor die Füße gestürzt ist, steigt jetzt ein zweites Dunstgebilde auf.
Die Frau neben der Sicherheitsschleuse stößt ein entsetztes Wimmern aus.
Ich hebe die Hände und klatsche sie vor meinem Gesicht zusammen, sodass alle Anwesenden fast zu Tode erschrecken. Die beiden teuflischen Dunstgebilde wanken sofort in meine Richtung, und ihre augenlosen Gesichter tasten blind nach mir. Ihre Umrisse lösen sich unablässig auf, um sich sofort wieder neu zusammenzufügen, und ich sage leise und ruhig auf Japanisch: „Madam, gehen Sie jetzt bitte. Hören Sie mich? Solange ich sie in Schach halte.“
Ich klatsche erneut in die Hände und die Geistergebilde stoßen ein Heulen aus, das so unerträglich ist, dass ich mir den Kopf halte. Es ist dieselbe unartikulierte Sprache, die ich in jener Nacht auf dem Mailänder Dom gehört habe – die Sprache der daemonium .
Die Frau sitzt immer noch wie erstarrt an ihrem Platz und weint vor Angst.
„Gehen Sie!“, knurre ich sie an. „Schnell!“
Sie nickt hastig, lässt sich von ihrem Stuhl fallen und kriecht schnell weg, immer noch leise wimmernd. Nach ein paar Metern springt sie auf, zerrt die andere Frau mit sich und stürzt aus dem Raum.
Ryan starrt mich entsetzt durch die nebligen Umrisse der Höllenkreatur an, die zwischen uns schwebt.
„Lauf, mein Liebster!“, sage ich leise. „Und lebe ein langes, erfülltes Leben.“
Ryan zögert, weicht einen Schritt zurück, als wollte er fliehen. Doch im selben Moment reißt die Kreatur eine ihrer armähnlichen Ausstülpungen
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