Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
und Make-up
aufgestapelt. Außerdem habe ich eine kurze Stange zwischen den Wänden montiert,
um Kleidersäcke mit den besseren Stücken aufzuhängen, die Kleider, Blazer und
Hosen, die ich meinem ganz besonderen Zweck vorbehalte. Ich habe hier sogar
einen Computer, einen Laptop, den ich benutze, wenn ich auf dem Sitzsack aus
falschem Leopardenfell hocke. In einer Ecke stehen ein Stuhl und ein Klapptisch
mit einer kleinen, batteriebetriebenen Lampe darauf. Es gibt ein schmales
Bücherregal, dass ich ohne Hilfe zusammengeschraubt habe. Die einzigen Bücher
auf den Brettern sind Foto- und Sammelalben, die ich seit Jahren aufhebe.
Nachdem ich das Schloss ein weiteres Mal
überprüft habe, suche ich meinen iPod und stecke ihn ein. Heute höre ich R.E.M.
Vor mich hin summend, gebe ich mich dem Beat hin, ziehe die dicken Alben aus
dem Regal und lasse mich auf den Stuhl plumpsen, wo ich die Seiten aufblättere.
Manche der Bilder und Artikel sind mit den Jahren vergilbt, aber alle sind in
makelloser Ordnung, weil ich sie sorgfältig sortiert habe. Fotos von Bentz.
Artikel über ihn. Sein ganzes Leben als Polizeibeamter.
Auf einem Foto ist Detective Bentz an einem
Tatort direkt hinter dem gelben Polizeiband zu sehen, wie er mit zwei anderen
Beamten spricht - das Haus, in dem das Opfer gefunden wurde, im Hintergrund.
Doch der kleine Bungalow mit der blühenden Glyzinie auf der Vorderveranda
interessiert mich nicht, genauso wenig das Blut, das noch auf der
Eingangstreppe zu erkennen ist.
Nein. Ich konzentriere mich auf Bentz. Dieses
gutaussehende Arschloch.
Diese Aufnahme zeigt ihn im Profil. Seine Züge
sind herb und markant, seine Kiefer zusammengebissen, die schmalen Lippen vor
Ärger aufeinandergepresst. Immer der clevere Cop.
»Mistkerl«, sage ich leise.
Ich stoße auf ein anderes Foto, das ihn im
Riesenrad in einem Vergnügungspark zeigt. Kristi sitzt neben ihm. Auf dem Bild
ist sie sieben. Bentz hat die Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen - eine
der wenigen Aufnahmen, auf denen er vergnügt ist.
Das leicht unscharfe Foto ist rund zwanzig Jahre
alt. Ich fahre mit den Fingern über die Bilder, wie ich es schon Hunderte Male
getan habe. Zwanzig Jahre! Zwanzig
verdammte Jahre. Aus dem Kind ist eine Frau geworden. Es
stimmt, denke ich betrübt, die Zeit verfliegt. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt
steht die Zeit still. Diese Seiten mit ihren durchsichtigen Plastikhüllen sind
gefüllt mit seinem Leben. Alte Fotos von seiner ersten Hochzeit verblassen,
die Hochzeitsgarderobe des glücklichen Paares zeugt von einem anderen
Zeitabschnitt. Die Musik fließt durch mich hindurch, und ich blättere rasch um,
nach vorn, meine Finger zwingen die Jahre, zu vergehen, schneller und
schneller. Bis ich bei der Gegenwart ankomme. Die Bilder jüngeren Datums, die
seine neue Frau Olivia zeigen, sind scharf und haben frische Farben. Neue Frau.
Das werden wir ja sehen.
Ein Foto, auf dem die Schlampe direkt in die
Kamera blickt, erweckt meine Aufmerksamkeit. Olivia wirkt heiter und lächelt
wissend, als kenne sie ein Geheimnis, als könnte sie meine Gedanken lesen. Was
für eine Irre!
Wenn ich mir vorstelle, dass Bentz tatsächlich
glaubt, er sei glücklich mit einer Frau, die nicht alle Tassen im Schrank hat!
Eine Hellseherin? Wenn das der Fall wäre, sollte sie sich Sorgen machen. Große
Sorgen.
Doch natürlich ist sie eine Schwindlerin. Nehmen
Bentz und sie ihre »Visionen« etwa für bare Münze? Nun, was hältst du davon,
Olivia? Stell dich schon mal auf das ein, was mit dir passieren wird! Wie
findest du es, sechs Fuß unter der Erde zu liegen, hm?
Rick Bentz wird dich nicht retten können. Und er
wird endlich begreifen, was echte Seelenqual ist. Ich blicke die Frau an, die
zu mir emporstarrt. So selbstgefällig. So selbstzufrieden. Als dächte sie
wirklich, sie könne in die Zukunft blicken.
»Niemals«, flüstere ich ihr zu. »Auf gar keinen
Fall.« Doch ihre lächelnden Lippen gehen mir an die Nieren. Hat sie in der
Vergangenheit tatsächlich die unheimliche Fähigkeit besessen, Morde
vorherzusehen?
Wird sie ihren eigenen ebenfalls vorausahnen?,
frage ich mich - ein prickelnder Gedanke, der mein Blut in Wallung bringt,
wobei es mir nicht so sehr um ihren Schmerz und ihr Leid
geht, sondern um den Schmerz und das Leid von Bentz.
Er wird derjenige sein, der mit dieser
Seelenpein zurechtkommen muss - der Qual zu wissen, dass die Frau, die er
liebt, seinetwegen unerträglichem, nervenzerrüttendem Grauen und
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