Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Sterbeurkunde.
»Heiliger Petrus.« Sie schüttelte ungläubig den
Kopf und betrachtete eingehend das Foto, auf dem Jennifer ins Auto stieg. »Das
- das kann nicht Jennifer sein«, sagte sie leicht verunsichert und blinzelte
Bentz bestätigungsheischend an. »Das wissen wir doch beide. Wir waren schließlich
dort ... bei der Beerdigung. Sie lag im Sarg.« Tallys Hände begannen zu
zittern. »Ich meine, das ist einfach unmöglich.« Ihre Stimme war schwach, ein
Flüstern. Dann räusperte sie sich, straffte die Schultern und riss sich
zusammen. »Die Frau auf dem Bild, sie, ähm ... sie ist eine Doppelgängerin ...«
»Scheint so.«
»... aber auf keinen Fall Jen.« Tally klang
nicht überzeugt. »Jemand ... jemand erlaubt sich einen Scherz mit dir. Ja, das
glaube ich, aber mal ehrlich, ich weiß nicht, was du von mir willst.« Sie
blickte wieder auf das Foto und erschauderte. »Ich will nur wissen, ob dir in
den letzten Wochen ihres Lebens irgendeine Ungereimtheit aufgefallen ist.
Irgendetwas Untypisches. Oder ob sie dir etwas anvertraut hat.«
»Mein Gott, das ist wirklich unheimlich. So
surreal.«
»Ja, das finde ich auch, doch erinnerst du dich
an irgendetwas, Jennifer betreffend, das ich womöglich nicht weiß?«
»Das ist so lange her ...« Ihre Stimme verklang,
und für einen kurzen Augenblick dachte Rick, sie würde nicht antworten. Doch
schließlich sagte sie: »Jennifer war voller Ungereimtheiten, das weißt du.
Einen Tag war sie so, den anderen so und den dritten wieder anders. Ich bin
mir nicht sicher, ob sie glücklich war«, fügte Tally achselzuckend hinzu. »Das
dachte ich mir.«
»Die Zeit, als die Kinder noch gemeinsam zur
Schule gingen, war, gelinde gesagt, schwierig.«
»Sie hat aber nichts Außergewöhnliches gesagt
oder getan?«
»Ach du meine Güte.« Tally blickte auf ihre
Zehen in den offenen Schuhen und runzelte gedankenversunken die Stirn. »Wie ich
schon sagte: Es ist lange her. Sie rang mit sich, denn sie hatte ... ähm ...
sie hatte sich einen Geliebten genommen.« Tally blickte Bentz an, ihre Wangen
brannten, doch er nickte nur und ermutigte sie, weiterzusprechen. »James.«
»Ich ... das weiß ich nicht genau. Sie hat
seinen Namen nie erwähnt.«
»Mein Bruder, der Geistliche.«
Sie leckte sich nervös die Lippen und blickte in
eine andere Richtung. Offenbar schien sie etwas zurückzuhalten, also half er
ihr ein wenig auf die Sprünge. »Ich weiß, dass James Kristis leiblicher Vater
war.« Selbst nach all den Jahren fiel ihm dieses Eingeständnis schwer. Es war
ein schwerwiegender Vertrauensbruch gewesen, gleich von zwei Seiten, von
seinem Bruder und von seiner Frau. Zur Hölle damit! »Ich weiß, dass sie sich in
San Juan Capistrano getroffen haben, in einem Inn.«
»In der Mission Saint Miguel, ja. Dort und
irgendwo in Santa Monica.«
Auch Shana hatte den Pier erwähnt, und es machte
ihn rasend, wenn er daran dachte, wie oft Jennifer vorgeschlagen hatte, einen
Tag dort am Strand zu verbringen. Wie sie mit Kristi in den Vergnügungspark
gegangen waren, von welchen Restaurants aus sie den Sonnenuntergang betrachtet
hatten. »Sie liebte den Strand«, sagte er.
»O ja.« Tallys Augenbrauen schossen in die Höhe.
»Jennifer war nicht dafür gemacht, die Frau eines Polizisten zu sein. Sie war
frustriert, glaube ich, weil sie ihr Bestreben, Künstlerin zu sein, Kristi
zuliebe aufgegeben hatte. Nicht, dass sie eine schlechte Mutter war ...« Ach, richtig. Die heilige Jennifer.
»Sie hat Kristi geliebt«, fuhr Tally fort. »Das
weiß ich. Doch sie fand es schrecklich, dass sie nicht deine Tochter war, Rick.
Das hat sie immer wieder gesagt. Sie war zerfressen von Schuldgefühlen.«
»Offenbar nicht genug, um ihr Verhalten zu
ändern.«
»Nein«, pflichtete ihm Tally seufzend bei. Zwei
Mädchen eilten im Laufschritt vorüber und riefen: »Hi, Mrs. White!«
»Hi, Brinn, hallo, Marcy.« Tally zwang sich zu
einem Lächeln, dann wandte sie sich wieder Bentz zu. »Die Schuldgefühle waren
wohl nicht groß genug, um sie dazu zu bringen, etwas zu ändern. Vielleicht
hätte das nichts und niemand geschafft. Sie hat dich geliebt, aber sie war
besessen von James, wenn man das so sagen kann. Es tut mir leid, aber viel mehr
weiß ich nicht. Du hast sie so gut gekannt wie alle anderen.«
»Ich habe den Eindruck, sie so gut wie gar nicht
gekannt zu haben.« Und das war noch die Untertreibung des Jahrhunderts.
»Dann geht es dir nicht anders als uns.« Sie
berührte seinen Arm, dann
Weitere Kostenlose Bücher