Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
vertäfeltes Ankleidezimmer betrat und sich das Stirnband vom
Kopf riss.
Sie hätte niemals mit Bentz reden sollen, ihm
niemals vertrauen, niemals etwas über Jennifer preisgeben dürfen. Die Frau war
tot, verdammt noch mal! Sie war gegen einen Baum gefahren und glücklicherweise
zur Ruhe gekommen.
In dem geräumigen Ankleidezimmer mit
angrenzendem Bad streifte Shana ihren Tennisrock und das ärmellose Shirt ab und
stellte sich nackt vor den Spiegel, der vom Fußboden bis zur Decke
hinaufreichte. Nicht schlecht für eine Frau Ende vierzig, befand sie, obwohl
sie in den nächsten fünf Jahren über eine weitere Brustoperation und ein
Gesichtslifting nachdenken sollte. Es wäre schön, die Brüste vergrößern zu
lassen, eine Körbchengröße zuzulegen, von B auf C. Die Bauchdecke hatte sie
bereits straffen und außerdem Fett absaugen lassen. Sie zog die Haut um Kinn
und Mund zurück. Die Falten waren nicht allzu schlimm, aber die Gesichtszüge
hingen leicht, etwas, das sich nur verschlechtern konnte. Jennifer Bentz hatte
sich nie Sorgen über Lachfalten, Altersflecken oder Cellulite machen müssen.
Ein früher Tod war beängstigend, hatte aber auch etwas Verführerisches.
Shana war davon überzeugt, dass Jennifer tot
war, und zwar seit zwölf Jahren. Wer immer Bentz diese Fotos geschickt hatte,
machte ihm etwas vor.
Warum also hatte sie, Shana, es für nötig
befunden, mit Bentz zu spielen? Natürlich hatte sie ihre Zweifel, was Jens Tod
anging, aber dass die Frau noch am Leben war, daran glaubte sie nicht.
Das liegt daran, dass du dich
zu ihm hingezogen fühlst, raunte eine Stimme in
ihrem Kopf, obwohl sie das nie zugegeben hätte. Zu einem Bullen? Niemals.
Trotzdem ließ sich nicht leugnen, dass Bentz sexy war, selbst jetzt noch, und
in letzter Zeit war Shana nicht gerade mit Sex verwöhnt worden. Leland war
einst ein leidenschaftlicher Mann gewesen, unersättlich, aber mit zunehmendem
Alter und auftretenden gesundheitlichen Problemen hatte sein Interesse an der
Liebe nachgelassen, genau wie seine Potenz.
Sie konnte noch so viel reden, er suchte einfach
keinen Arzt auf oder erkundigte sich nach Viagra. Allein den Vorschlag fasste
er als einen Affront gegen seine Männlichkeit auf. Welche Männlichkeit?, dachte
sie ungnädig, und um die Wahrheit zu sagen, verlor sie langsam das Interesse an
dem Mann, für den sie früher einen Mord begangen hätte, nur um ihn heiraten zu
können. Hatte sie ihn nicht seiner ersten Frau ausgespannt, dieser dämlichen
Isabella? Rick Bentz dagegen strotzte trotz seines leichten Hinkens vor
Manneskraft. Er brachte ihre Gedanken dazu, auf verschlungenen, dunklen Pfaden
der Verführung zu wandeln. Jennifer hatte angedeutet, er wäre ein großartiger
Liebhaber. Sie hatte darauf bestanden, dass sie ihm nicht wegen des Sex untreu
geworden war, sondern weil das Verbotene sie gereizt hatte - mit einem
Priester, dem Halbbruder ihres Ehemannes, ins Bett zu gehen.
Andererseits war Jen ziemlich verkorkst gewesen,
das hatte Shana oft gedacht, wenn sie zusammen gewesen waren. Doch das schien
zu einem anderen Leben zu gehören. Es war Geschichte, schon lange bevor sie die
grauen Strähnen in ihrem Haar und die Anzeichen der Schwerkraft an einst
straffen Teilen ihres Körpers bemerkt hatte. Mein Gott, es war die Hölle, alt
zu werden ... älter zu werden, rief
sie sich ins Bewusstsein. Sie war noch keine fünfzig, und sie kannte viele
Frauen über sechzig, die immer noch fabelhaft aussahen, auch wenn sie hart
dafür arbeiten mussten.
Sie fasste wieder ihre Figur ins Auge und nahm
sich vor, sich zusammenzureißen. Man sagte ihr immer wieder, wie schön sie sei,
wie großartig sie aussehe, und bislang hatte noch niemand »für dein Alter«
hinzugefügt, was diese Komplimente zunichte gemacht hätte.
Sie warf sich ein großes Baumwolltuch über,
obwohl dazu kein Grund bestand. Das Hausmädchen war schon lange fort, auch der
Gärtner war gegangen und Leland war wieder
mal unterwegs, um irgendeinen dicken Fisch in Palm
Springs an Land zu ziehen.
Sie eilte die Marmorstufen hinunter, durch die
verglaste Veranda über die Terrasse in den Garten, wo Dirk laut die Chihuahuas
der Nachbarn verbellte, die auf der anderen Seite von Hecke und Zaun kläfften.
»Aus«, sagte Shana und zerrte Dirk ins Haus. Sie schob ihn in den
Hauswirtschaftsraum, der an Küche und Diele angrenzte, und schloss die Tür.
Sie wollte einfach ein wenig allein sein, ohne
dass Lelands Hund ihr Kopfschmerzen bereitete. Mittlerweile
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