Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
der Stiefelspitze anschob. Jedes
Mal ertönte aus dem Innern der Tasche ein schrilles Protestjaulen. »Einen
Augenblick mal«, sprach Knallenge Jeans in ihr Handy. Dann blickte sie auf die
Tasche hinab und gurrte: »Ist schon gut, Sherman.« Sherman war anderer Meinung
und jaulte noch lauter. Durch das Netzgewebe oben in der Tasche sah Bentz den
Hund, der sich wie verrückt drehte, während sich Knallenge Jeans wieder ihrem
Telefonat zuwendete. Bei seinem Glück würden sich Hund und Frauchen auf dem
Sitzplatz neben ihm wiederfinden. Egal, Hauptsache, er kam überhaupt nach
Hause.
Die Frau vor ihm beendete ihr Gespräch und trat
an den Schalter. »Wir haben
ein Riesenproblem«, begann sie in herausforderndem Ton. »Dieses Ticket ist ganz
und gar falsch. Wenn ich über Cincinnati fliegen muss, schaffe ich es nicht
rechtzeitig zum Junggesellenabschied meines Cousins. Ich brauche einen
Direktflug.«
»Ich glaube nicht, dass wir Direktflüge nach
Savannah haben, aber lassen Sie mich mal nachsehen, was ich tun kann«, sagte
die Frau hinter dem Schalter und tippte auf ihrer Tastatur.
Bentz trat von einem Bein aufs andere und ließ
den Blick durch die überfüllte Abfertigungshalle schweifen. Gruppen von Leuten
standen dichtgedrängt vor der Gepäckabfertigung und gaben Rucksäcke, Trolleys
und Koffer auf. Ein Teenager schleppte einen außergewöhnlich großen Gitarrenkoffer
mit sich, drei Männer zogen Teile hinter sich her, die aussahen wie
Golftaschen. In der Nähe der Türen schob ein Angestellter einen älteren Mann in
einem Rollstuhl an einer einzelnen Frau vorbei, die vor der Ankunfts- und Abflugtafel
stand, das Gesicht suchend auf die Monitore gerichtet. Ein schönes, vertrautes
Gesicht. Bentz erstarrte. Sie war Jennifer wie aus dem Gesicht geschnitten.
Denk nicht mal daran!
Doch da stand sie und betrachtete den großen
Bildschirm durch ihre Sonnenbrille.
Auf keinen Fall. Nicht jetzt
und hier.
»Nein, das geht auch nicht«, jammerte Knallenge
Jeans wie aus weiter Ferne. Bentz blinzelte, bemüht, seinen rasenden Puls unter
Kontrolle zu bringen.
Das bildest du dir ein, sagte er sich, das
bildest du dir nur ein, weil du die Stadt verlässt. Doch noch während er die
gebräunte Frau mit dem kupferbraunen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haar
anstarrte, warf sie ihm über die Schulter einen Blick zu. Die Andeutung eines
Lächelns trat auf ihre Lippen.
Er hatte das Gefühl, ihm wäre ein Geist
erschienen. Dann drehte sie sich um und ging schnellen Schrittes in die
entgegengesetzte Richtung. Weiße Shorts, enganliegendes ärmelloses rosa
T-Shirt, schimmernde Flipflops. Das konnte jeder sein. Eine Touristin auf dem
Weg nach Disneyland. Jemand, der seine Angehörigen abholt. Eine Frau, die auf
einen verspäteten Flug wartet.
Oder jemand, der vorgab,
Jennifer zu sein. »Mist«, fluchte Rick unterdrückt und trat
aus der Schlange, um ihr zu folgen. Er konnte nicht zulassen, dass sie ihm
entwischte und ihre Spielchen mit ihm trieb. Und mittlerweile schon gar nicht
mehr, da sie offensichtlich etwas mit den Morden an Shana Mclntyre und Lorraine
Newell, vielleicht sogar mit dem Doppelmord an den Springer-Zwillingen zu tun
hatte.
Sie blickte erneut über die Schulter, und fast
wäre ihm das Herz stehengeblieben. Wenn das nicht Jennifer war, dann musste es
ihr Zwilling sein.
Er schmiss seinen Gehstock neben einen Abfallbehälter
und ging schneller, versuchte, zu ihr aufzuschließen, während sie inmitten
einer Reisegruppe verschwand. Immer eiliger zog er seine Rolltasche mit der
Laptop-Tasche obendrauf hinter sich her, während sie auf einen Ausgang zustrebte.
Am liebsten hätte er sein Gepäck stehengelassen, aber das war nicht möglich.
Seine Pistole steckte in dem Trolley, und er konnte nicht riskieren, sie
zurückzulassen. Sie schlängelte sich durch eine Gruppe asiatischer Touristen,
die zu einem anderen Terminal gingen. »O nein, das schaffst du nicht«,
flüsterte er und ließ sie nicht aus den Augen. Adrenalin schoss ihm ins Blut,
er lavierte sich durchs Gedränge, mitten durch eine Handvoll Teenager im
Gothic Look und vorbei an einer matronenhaften Frau mit Gepäckstücken im
Gepardenmuster. Was zum Teufel machte »Jennifer« hier? Dich zurückhalten, du
Blödmann. Es ist doch kein Zufall, dass sie gerade jetzt am Flughafen und in
derselben Abfertigungshalle ist. Das war genau geplant. Doch woher hatte sie
gewusst, dass er hier auftauchen würde? Was sollte dieses lächerliche
Katz-und-Maus-Spiel?
Stets
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