Mercy - Die Stunde Der Rache Ist Nah
Wahnsinnige würde das Boot anzünden! Während sie in der Falle
saß!
»Nein«, haspelte Olivia hinter dem Klebeband.
»Nein!« Voller Zorn hob sie die Hände zum Gesicht und knibbelte daran, bis sich
eine Ecke löste. Dann zwang sie ihre Finger, ihr zu gehorchen, und riss sich
das Band vom Mund. Hautfetzen von Wangen und Lippen blieben daran kleben.
»Nein!«, rief sie wieder, doch die Frau ignorierte ihr Flehen und lief die
Treppe hinauf. Ihre Schritte klapperten auf den Metallstufen. O Gott!
»Tun Sie das nicht!«, schrie Olivia.
Oben angekommen, blieb die Frau einen Augenblick
lang zögernd stehen. Überlegte sie es sich vielleicht anders? »Bitte«, jammerte
Olivia verzweifelt. Doch dann hörte sie die Verrückte sagen: »Leck mich!« Außer
sich vor Angst, rüttelte Olivia laut schreiend an der Käfigtür, in der
Hoffnung, dass diese aufsprang, doch vergeblich. »Bitte nicht!« Die Frau
löschte das Licht.
Der Frachtraum mit Olivias Gefängnis wurde
schlagartig pechschwarz. Eine Tür schlug zu.
Tränen liefen über Olivias Gesicht. Sie wartete
auf das Platschen von verschüttetem Benzin, auf das schreckliche Ratschen
eines Streichholzes, welches es in Flammen setzte. Doch es blieb still.
32
Es wird eine lange Nacht, dachte Hayes auf dem
Weg nach Encino. Bentz und Martinez starrten in die vorüberziehende
Landschaft, auf die sich rasch die Dämmerung herabsenkte. Hayes rief Corrine
an. Corrine hatte gewusst, dass er spät arbeiten würde, und ihm deshalb
vorgeschlagen, anschließend auf einen Sprung bei ihr vorbeizukommen. An und
für sich eine gute Idee, doch im Augenblick hatte er keinen blassen Schimmer,
wann er fertig sein würde, weshalb er ihre Verabredung absagte. »Du machst schon wieder Überstunden?«, fragte sie
gereizt, und er hoffte, die anderen im Wagen würden es nicht mitbekommen.
»Dann verschieben wir es eben auf ein andermal. Schon wieder.«
Corrine war sauer, aber er konnte es nicht
ändern. Er hasste es, in Anwesenheit anderer Cops private Telefongespräche zu
führen, selbst wenn Martinez und Bentz taktvoll zur Seite blickten. Es war
einfach unangenehm, vor allem da Corrine früher einmal mit Bentz zusammen
gewesen war, doch wenn er an einem Fall arbeitete, blieb ihm keine andere
Wahl.
Genau so etwas passiert, wenn man kein eigenes
Leben hat, dachte Hayes und nahm die Ausfahrt nach Encino. »Hoffentlich sind
Yolanda und Sebastian Salazar zu Hause«, sagte er. Ein paar Blocks vom Ventura
Boulevard entfernt standen kleine, einstöckige Häuser aus der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg, mit großen Gärten, deren Rasenflächen langsam braun wurden.
Die Salazars wohnten auf einem Eckgrundstück.
Ihr Haus war in einem hellen Farbton gestrichen, der im bläulichen Licht der
Straßenlaterne grau wirkte. Der Garten war von einem hohen Maschendrahtzaun
umgeben, ein Schild verkündete: WARNUNG VOR DEM HUND. »Großartig.« Martinez
drückte sich in den Vordersitz. »Ich hasse Hunde.«
Hayes runzelte die Stirn. »Wieso?«
»Bin als Kind mal gebissen worden. Harriet, der
Dackel des Nachbarn. Scheußliches kleines Biest.«
»Du kannst doch nicht alle Hunde über einen Kamm
scheren.«
»Wetten, doch?«, sagte sie, als Hayes den Motor
abstellte.
»Sie riechen Ihre Angst, Martinez«, behauptete
Bentz. »Solange Sie sich vor ihnen fürchten, werden Sie nicht in der Lage
sein, sich ihnen zu nähern.«
»Das ist ganz in meinem Sinne«, gab sie zurück.
»Ich bin froh, auf Distanz bleiben zu können.« Noch bevor sie die Türen des
Toyota geöffnet hatten, fing besagter Hund zu bellen an und fletschte auf der
anderen Seite des Zauns die Zähne. Die aufgebrachte Kreatur war schwarz und
hellbraun, mit einem Kiefer in der Größe von Arkansas. Ein Rottweilermischling,
vermutete Hayes. »Oh, dieser ist ja ein richtiges Schätzchen.« Martinez' Hand
verharrte reglos über dem Türgriff. »Nennen wir ihn einfach Fluffy.«
Hayes blickte in den Rückspiegel und sah, dass
sich Bentz zum Aussteigen anschickte.
»Denk nicht mal daran«, warnte er seinen
ehemaligen Kollegen. Er durfte Bentz nicht ungebremst auf die Salazars loslassen.
Was Hayes anging, so fungierte Bentz lediglich als Berater, und das war's.
Obwohl er anderer Meinung war als Andrew Bledsoe und Dawn Rankin, die Bentz
unterstellten, auf irgendeine Art und Weise in die Morde verwickelt zu sein,
konnte er nicht zulassen, dass Bentz für das LAPD ermittelte. Bentz stand
nicht mehr auf der Gehaltsliste, und seine Einmischung würde
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