Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
purem Entsetzen erklären ließ.
Warren und ich warteten mit den beiden, bis die Leiterin des Frauenhauses vorbeikam, um ihre neuesten Schutzbefohlenen einzusammeln. Nachdem sie weg waren, drehte ich mich zu ihm um und stellte mich vor.
Warren war einer von den Guten, ein Held. Er war auch ein Einsamer Wolf. Er hatte eine Weile gebraucht, um mir anzuvertrauen, warum.
In anderen Zeitaltern und an andern Orten hätte es vielleicht nichts ausgemacht, schwul zu sein. Aber die meisten Werwölfe, die in den Vereinigten Staaten an der Macht waren, waren zu einer Zeit geboren worden, als Homosexualität als ein Gräuel betrachtet und an einigen Orten sogar mit der Todesstrafe belegt wurde.
Einer meiner Professoren erzählte mir einmal, dass Königin Victoria sich geweigert habe, ein Gesetz zu unterzeichnen, das gleichgeschlechtlichen Sex für illegal erklärte. Das hätte mich beinahe dazu gebracht, eine bessere Meinung von ihr zu haben, aber der Grund ihrer Weigerung bestand offenbar darin, dass sie nicht glaubte, dass Frauen überhaupt zu so etwas imstande seien. Dann änderte das Parlament das Gesetz so ab, dass es sich nur auf Männer bezog, und sie unterschrieb. Nein, Königin Victoria leistete keinen Beitrag zur Aufklärung. Ebenso wenig, wie ich schon oft hatte feststellen können, wie der durchschnittliche Werwolf.
Man braucht also nicht besonders zu betonen, dass ein männlicher Wolf, der sich von anderen männlichen Wölfen angezogen fühlte, in viele Kämpfe geriet. Es sprach Bände über Warrens Zähigkeit, dass er so lange überlebt hatte. Aber ein Rudel akzeptiert keinen Wolf, der zu viel Ärger macht, also hatte er sein letztes Lebensjahrhundert von seiner Art abgeschnitten verbracht.
Ich selbst hatte Adam und Warren einander vorgestellt, etwa zu dem Zeitpunkt, als Adam hinter meinen Trailer zog. Warren war zum Essen bei mir gewesen, und wir hatten über irgendwas – ich habe vergessen was – gelacht und dann gehört, wie einer von Adams Wölfen heulte. Ich werde niemals die Verzweiflung vergessen, die sich in diesem Augenblick auf Warrens Zügen zeigte.
Schon während ich aufwuchs, hatte ich immer wieder gehört,
dass es Wölfen einfach bestimmt ist, in einem Rudel zu leben. Ich verstehe es immer noch nicht ganz, aber Warrens Gesicht verriet mir, dass das Alleinsein für einen Wolf keine einfache Sache darstellte.
Am nächsten Morgen hatte ich an Adams Hautür geklopft. Er hatte mir höflich zugehört und den Zettel mit Warrens Telefonnummer entgegengenommen. Als ich mich von seinem Haus abwandte, hatte ich gewusst, dass ich versagt hatte.
Warren erzählte mir später, was bald danach geschehen war. Adam hatte ihn zu sich gerufen und ihn zwei Stunden lang ausgefragt. Am Ende hatte er erklärt, es sei ihm egal, ob ein Wolf es mit einer Ente triebe, solange er Befehlen gehorchte. Adam nutzt drastische Worte wie all seine Waffen: selten, aber mit großer Wirkung.
Ich nehme an, einige Leute werden es seltsam finden, dass Warren Adams bester Freund wurde, Darryl aber höher in der Rangordnung steht. Aber sie sind beide Helden, zwei Männer, die einander sehr ähnlich sind – nun ja, nur dass Adam nicht schwul ist.
Der Rest des Rudels war nicht sonderlich froh über Warrens Eintritt. Es half ein wenig, dass die meisten von ihnen jünger sind als er, und die letzten Jahrzehnte haben zu einer gewaltigen Verbesserung gegenüber der viktorianischen Zeit geführt. Und außerdem wollte sich auch keiner im Rudel gegen den Leitwolf stellen. Oder gegen Warren.
Warren war es egal, was der Rest der Wölfe dachte, solange er ein Rudel hatte, zu dem er gehörte. Wenn er Freunde brauchte, hatte er mich und Adam. Das genügte ihm.
Warren würde Adam niemals verraten. Ohne Adam hätte er kein Rudel mehr.
»Ich rufe ihn an«, sagte ich erleichtert.
Er ging beim zweiten Klingeln an den Apparat. »Warren
hier. Bist du das, Mercy? Wo hast du gesteckt? Weißt du, wo Adam und Jesse sind?«
»Adam ist verwundet«, sagte ich. »Und die Leute, die das getan haben, haben Jesse entführt.«
»Sag ihm, er soll keinem sonst davon erzählen«, warf Samuel ein.
»Wer war das?«, fragte Warren plötzlich kühl.
»Samuel«, sagte ich. »Brans Sohn.«
»Haben wir es mit einem Staatsstreich zu tun?«, fragte Warren.
»Nein«, antwortete Adam von Rücksitz aus. »Zumindest nicht, was Bran angeht.«
»Entschuldigt«, sagte ich. »Aber das hier ist mein Telefongespräch. Würdet ihr bitte alle so tun, als handele es sich um
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