Mercy Thompson 01 - Ruf des Mondes-retail
deinen Wolf mit und kommt zu uns. Wir werden entscheiden, ob er einen Besucherpass braucht. Wenn nicht, sehen wir keinen Grund, dir nicht zu sagen, was wir über diese Gesetzlosen wissen, die so viel weniger sind als ein Rudel.«
»Ich weiß nicht, wo sich deine Siedhe befindet«, sagte ich.
»Ich komme und hole dich ab«, verkündete Stefan, offenbar aus eigenem Entschluss. Dann legte er auf.
»Ich denke, wir werden heute Abend die Vampire besuchen«, berichtete ich meinen Begleitern. Irgendwann während des Gesprächs war auch Zee aus der Bar gekommen. Ich hatte es während des Telefonats nicht bemerkt, aber nun stand er neben Samuel. »Kennst du dich mit Vampiren aus?«
Samuel zuckte die Achseln. »Ein wenig. Ich hatte hin und wieder mit ihnen zu tun.«
»Ich komme ebenfalls mit«, verkündete der alte Mechaniker leise, und dann trank er den letzten Rest des Scotchs, den er mitgebracht hatte. »Nicht, dass ich euch helfen könnte – Metall ist nicht ihr Fluch. Aber ich weiß ein paar Sachen über sie.«
»Nein«, sagte ich. »Ich brauche dich für etwas anderes. Wenn du bis morgen Früh nichts von mir gehört hast, will ich, dass du diese Nummer anrufst.« Ich zog eine alte Quittung aus dem Geldbeutel und schrieb Warrens Telefonnummer auf die Rückseite. »Das ist Warren, der dritte Wolf in Adams Rudel. Erzähl ihm alles, was du weißt.«
Er nahm die Nummer. »Das gefällt mir nicht.« Aber er steckte sie in stillem Einverständnis ein. »Ich wünschte, du
hättest mehr Zeit, dich vorzubereiten. Hast du ein Symbol deines Glaubens, Mercy, vielleicht ein Kreuz? Es ist nicht ganz so wirkungsvoll, wie Mr Stoker es darstellte, aber es würde helfen.«
»Ich trage ein Kreuz«, warf Samuel ein. »Bran befiehlt es uns allen. Wir haben in unserem Teil von Montana keine Vampire, aber es gibt noch andere Geschöpfe, gegen die Kreuze hilfreich sind.« Wie einige unangenehmere Angehörige des Feenvolks – aber Samuel hätte das vor Zee nicht ausgesprochen, was auch sehr unhöflich gewesen wäre. Genau wie Zee nie erwähnen würde, dass die dritte und vierte Kugel in seiner Waffe aus Silber waren – ich hatte sie selbst für ihn hergestellt. Er hätte es wahrscheinlich besser machen können, aber falls er irgendwann mit Werwölfen aneinandergeraten sollte, würde er sich dabei vielleicht besser schlagen, weil wir einander kannten.
»Mercy?«, fragte Samuel.
Ich mag keine Kreuze. Meine Ablehnung hat nichts mit ihrer metaphysischen Wirkung auf Vampire zu tun, und als ich in Brans Rudel lebte, trug ich ebenfalls einen entsprechenden Anhänger. Aber ich habe mich nie von der Vorstellung lösen können, wie krank es ist, das Zeichen der Folter Jesu als Symbol für den Fürsten des Friedens zu tragen, der uns lehrte, einander zu lieben. Das ist ein gutes Argument, das ich selbst glaube.
Tatsächlich jedoch lassen Kreuze mich einfach schaudern. Ich kann mich deutlich erinnern, mit meiner Mutter bei einem ihrer seltenen Besuche, als ich vier oder fünf war, in eine Kirche gegangen zu sein. Mutter war arm, lebte in Portland und konnte sich daher nicht leisten, oft vorbeizukommen. Wenn sie es schaffte, unternahm sie gern etwas Besonderes mit mir. Wir gingen also zu einem Mutter-Tochter-Wochenende
nach Missoula und suchten uns nach dem Zufallsprinzip eine Kirche aus – wohl mehr, weil Mutter dachte, sie sollte mich zur Kirche bringen, als weil sie besonders religiös gewesen wäre.
Sie war gleich im Eingang stehen geblieben, um mit dem Pastor oder Priester zu sprechen, und ich schlenderte weiter in das Gebäude, sodass ich alleine war, als ich um eine Ecke bog und mich plötzlich einer überlebensgroße Statue des sterbenden Jesus am Kreuz gegenüberfand. Meine Augen lagen so gerade eben auf gleicher Höhe wie seine Füße, die mit einem riesigen Nagel ans Kreuz genagelt und lebensecht bemalt waren, mit Blut und allem. Wir gingen an diesem Tag nicht zum Gottesdienst – und seitdem hatte ich kein Kreuz mehr sehen können, ohne an den furchtbaren Tod des Gottessohns denken zu müssen.
Also kein Kreuzanhänger für mich. Aber da ich in Brans Rudel aufgewachsen war, trug ich etwas anderes. Widerstrebend holte ich meine Halskette heraus und zeigte sie ihnen.
Samuel verzog das Gesicht. Die kleine Gestalt war stilisiert, und ich nehme an, er konnte nicht gleich erkennen, um was es sich handelte.
»Ein Hund?«, fragte Zee und starrte das Amulett an.
»Ein Lamm«, erklärte ich defensiv und steckte es wieder unters Hemd.
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