Mercy Thompson 04 - Zeit der Jäger-retail-ok
verschlafen hatte … oder noch schlimmer, er hatte es mich vergessen lassen.
»Einfach Glück, nehme ich an«, antwortete ich. Ich wollte nicht darüber reden, während Chad direkt neben uns stand. Er wäre um einiges sicherer, wenn er nicht wusste, dass James Blackwood ein Vampir war.
Chad gab noch ein paar Handzeichen von sich.
»Sorry«, meinte Stefan. »Ich bin Stefan. Ein Freund von Mercy.«
Chad runzelte die Stirn.
»Er gehört zu den Guten«, erklärte ich ihm, und er warf mir einen ›schön, aber was macht er mitten in der Nacht in meinem Haus‹-Blick zu. Ich gab vor, nicht zu verstehen, was er meinte. Ich beherrschte die amerikanische Zeichensprache nicht, also konnte er nichts machen. Das war wahrscheinlich nicht fair, aber ich wollte ihn nicht anlügen – und ich wollte ihm bestimmt nicht die ganze Wahrheit sagen.
»Sie müssen von hier verschwinden«, sagte Stefan. »Und ich werde dich zurück in die Tri-Cities bringen.« Es sah aus, als wollte er noch etwas sagen, aber dann warf er einen schnellen Blick auf Chad und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich noch etwas über Blackwood.
»Lass mich was anziehen«, meinte ich. »Ich kann besser denken, wenn ich nicht nur in Unterhose und T-Shirt herumlaufe.«
Ich zog mich im Badezimmer an – und schaute mir währenddessen
eingehend den zweiten Biss an. Dann versteckte ich sie beide unter meinem neuen roten, seidenbestickten Schal.
Nach Hause gehen? Was sollte das bringen? Und was hatte ich hier eigentlich erreicht?
Ich war gekommen, um Amber zu helfen und eine Weile Marsilia nicht mehr unter die Augen zu kommen. Das hatte geklappt – oder zumindest hatte es Adams Verhandlungen nicht behindert. Ich wusste nicht, ob ich Amber auch nur ein bisschen geholfen hatte … noch nicht.
Ich starrte mein bleiches, müdes Gesicht an und fragte mich, wie ich das schaffen sollte. Blackwood kümmerte sich um sie.
Ich zitterte. Obwohl es nichts gab, was ich hätte benennen können – keine kalte Stelle, kein Geruch, kein Geräusch – , konnte ich fühlen, wie etwas mich beobachtete. »Lass den Jungen in Ruhe«, befahl ich meinem unsichtbaren Beobachter.
Und jedes Haar auf meinem Kopf kribbelte plötzlich.
Ich wartete auf einen Angriff, oder dass er sich zeigte. Aber nichts geschah, nur diese kurze Verbindung, die langsamer verblasste, als sie gekommen war.
Stefan klopfte. »Ist alles okay?«
»Prima.« Etwas war passiert, aber ich hatte keine Ahnung, was. Ich war müde und verängstigt und ich hatte Hunger. Also putzte ich mir die Zähne und öffnete die Badezimmertür.
Stefan und Chad lehnten an den gegenüberliegenden Wänden des Flurs und diskutierten etwas. Ihre Hände bewegten sich rasend schnell.
»Stefan.«
Er warf die Hände in die Luft und wandte sich an mich. »Wie kann er der Meinung sein, dass Dragon Ball Z besser ist als Scooby-Doo? Diese Generation weiß einfach die Klassiker nicht zu schätzen.«
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Ich hielt meinen Kopf von Chad abgewandt, als ich sagte: »Du bist ein netter Mann.«
Stefan tätschelte mir den Kopf.
Ich kontrollierte Chads Schlafzimmer, aber es sah aus, als wäre niemals etwas passiert; zurückgeblieben war lediglich ein wenig Feuchtigkeit vom Frost. Nur die zwei zerrissenen Teile von Chads Decke gaben einen Hinweis auf den Ärger.
»Es gibt ein paar Vampire, die solches Zeug können«, meinte Stefan und wedelte mit einer Hand in Richtung Chads Zimmer. »Dinge bewegen, ohne sie zu berühren, Leute umbringen, ohne im selben Raum zu sein. Aber ich habe noch niemals von einem Geist mit so viel Macht gehört. Sie sind normalerweise pathetische Dinger, die so tun, als wären sie am Leben.«
Ich roch keinen Vampir, nur Blut – und diese Duftnote verblasste wie zuvor der Frost. Ich hatte den Geist gesehen – nicht klar, aber er war da gewesen. Trotzdem drehte ich mich so, dass Chad nicht von meinen Lippen lesen konnte. »Glaubst du, dass Blackwood Geist spielt?«
Stefan schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht das Monster. Falsches Erbe. Es gab einen indischen Vampir in New York. Er und die Seinen hätten etwas in der Art tun können, was wir heute Nacht gesehen haben … bis auf die Kälte. Aber nur die Vampire, die er direkt erschaffen hatte, konnten es – und er verwandelte nur indische Frauen in
Vampire. Sie sind alle vor ungefähr hundert Jahren getötet worden, und ich glaube sowieso, dass Blackwood älter ist.«
Chad hatte Stefans Mund
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