Mercy Thompson 04 - Zeit der Jäger-retail-ok
leckte es langsam ab, ließ aber ein paar Tropfen über seine Handfläche laufen, bis hin zum Handgelenk, wo es die grünen Ärmel seines feinen Hemdes beschmutzte.
Ich fragte mich, für wen er diese Show gab. Die Vampire wären sicherlich nicht beunruhigt davon, dass er Blut leckte – und damit hatte ich irgendwie Recht, aber zum größten Teil lag ich falsch. Beunruhigt war vielleicht nicht das richtige Wort, aber durch die Reihen der Vampire ging ein Ruck nach vorne und ein paar von ihnen leckten sich sogar die Lippen.
Igitt.
»Du hast mich verraten, nicht wahr, Bernard?« Marsilia schaute immer noch Wulfe an und er streckte die Hand aus. Sie nahm sie und folgte mit ihrer Zunge der Spur des getrockneten Blutes und verweilte über seinem Handgelenk, während Bernard zitterte und sich bemühte, die Frage nicht zu beantworten.
»Ich habe die Siedhe nicht verraten«, sagte Bernard wieder. Und obwohl sie ihn zehn Minuten oder mehr in die Mangel nahm, war das alles, was er sagte.
Stefan erschien neben mir. Seine Augen waren auf die Manschette seines weißen Hemdes gerichtet, während er beiläufig einen Knopf richtete und dann den Ärmel seines dezenten grauen Nadelstreifenanzugs mit genau der richtigen Bewegung darüberzog. Er schaute mich an, und Marsilia ihn.
Sie wedelte mit einer Hand Richtung Bernard. »Steh auf. Wulfe, bring ihn irgendwohin, wo ich ihn sehen kann, wärst du so nett?«
Zitternd und stolpernd erhob sich Bernard. Das Blut aus seinen bleichen Händen tropfte auf den Boden, den ganzen Weg bis hin zu den Sitzreihen, wo Wulfe in der untersten Reihe Plätze für sie beide frei machte. Er begann damit, Bernards Hände zu reinigen, wie eine Katze, die Eis leckt.
Stefan sagte nichts, sondern ließ nur in einem schnellen Check seine Augen über mich gleiten. Dann schaute er zu Adam, der königlich zurücknickte, wenn auch mit einem kleinen Lächeln, und mir fiel auf, dass er und Stefan dasselbe trugen, nur dass Adam ein dunkelblaues Hemd anhatte.
Mary Jo sah die Ähnlichkeit auch und grinste. Sie drehte sich um, wie ich vermutete, um etwas zu Paul zu sagen, als ein überraschter Ausdruck auf ihrem Gesicht erschien und sie einfach umfiel. Alec fing sie auf, bevor sie auf dem Boden aufschlug, als wäre das nicht das erste Mal, dass so etwas geschah. Überbleibsel von ihrer Begegnung mit dem Tod, hoffte ich, und nicht etwas, was die Vampire taten.
Stefan verließ mich für Mary Jo. Er berührte ihre Kehle und ignorierte Alecs lautloses Knurren.
»Entspann dich«, sagte Stefan dem Wolf. »Sie wird durch mich keinen Schaden nehmen.«
»Das passiert ihr häufig«, erklärte ihm Adam. Dass er sich nicht zwischen den Vampir und ein verletzliches Rudelmitglied stellte, war eine eindeutige Botschaft.
»Sie wacht auf«, sagte Stefan, einen Augenblick, bevor sich ihre Augen öffneten.
Und erst, nachdem Mary Jo wieder ganz wach war, schaute Stefan zu Marsilia.
»Komm auf den Stuhl, Soldat«, sagte sie zu ihm.
Er starrte sie so lange an, dass ich mich fragte, ob er es tun würde. Vielleicht liebte er sie, aber im Moment mochte er sie nicht besonders – und, so hoffte ich inständig, vertraute ihr auch nicht.
Aber er tätschelte Mary Jos Knie und ging dorthin, wo Marsilia auf ihn wartete.
»Warte«, sagte sie, bevor er sich setzte. Sie schaute zu der Tribüne uns gegenüber, wo die Vampire und ihr Essen saßen. »Willst du, dass ich zuerst Estelle befrage? Würde dich das glücklicher machen?«
Ich konnte nicht sagen, mit wem sie sprach.
»In Ordnung. Bringt Estelle her.«
Am anderen Ende des Raumes öffnete sich eine Tür, die ich nicht bemerkt hatte, und Lily, die begabte Pianistin und völlig verrückte Vampirfrau, die niemals die Siedhe und Marsilias Schutz verließ, kam herein. Sie trug Estelle, wie ein Bräutigam seine Braut über die Schwelle trägt. Lily trug sogar eine puschelige weiße Masse, die neben Estelles dunklem Anzug ein Hochzeitskleid hätte sein können. Obwohl ich noch nie eine Braut gesehen hatte, die Blut im Gesicht und auf dem Kleid hatte. Wenn ich ein Vampir wäre, würde ich nur Schwarz oder Dunkelbraun tragen – um die Flecken zu verstecken.
Estelle hing schlaff in Lilys Armen, und ihr Hals sah aus, als hätten Hyänen an ihr herumgekaut.
»Lily«, schalt Marsilia. »Was habe ich dir über das Spielen mit dem Essen gesagt?«
Lilys saphirgrüne Augen glitzerten mit einem hungrigen Schillern, das selbst in dem überhell erleuchteten Raum zu sehen war. »Tut mir leid.«
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