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Meridian - Flüsternde Seelen

Meridian - Flüsternde Seelen

Titel: Meridian - Flüsternde Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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Seite stand in roten Buchstaben und in der mir vertrauten Handschrift der Heimleiterin LIEFERUNG . 2 K.
    Was hatte das zu bedeuten? Ich prägte mir die Notiz ein, um später darüber nachzudenken. Rasch suchte ich nach der Adresse des Ortes, an den man ihn verlegt hatte. Nichts. Nach dem letzten Tag hier wurde er nicht mehr erwähnt. Keine Kontaktdaten.
    Die nächsten Akten waren dicker als die anderen. Ich erkannte die Namen von Kindern, die seit meiner Ankunft hier sechzehn geworden waren. Man hatte uns erzählt, sie seien in Heimen, an Colleges oder in Familien untergebracht worden. Auch hier fehlten die Kontaktdaten. Doch sie waren mit dem Vermerk LIEFERUNG . 5 K versehen.
    Die Handschrift der Heimleiterin prangte auf jeder einzelnen Akte. In Rot auf der ersten Seite.
    Was für eine Bewandtnis hatte es damit? Wo war meine Akte? Ich zog wieder eine Schublade auf. Sie enthielt die Akten der Kinder, die das DG zwischen ihrem sechsten und zehnten Geburtstag verlassen hatten. Auch hier Geburtsurkunden, ärztliche Befunde, Berichte über ihre Träume und psychologischen Begutachtungen. Nur dass auf der ersten Seite dieser Akten: KEINE . MARKIERUNG . RÜCK . stand.
    Als ich ein leises Klicken an der Tür hörte, erstarrte ich.
    »Ich bin es«, flüsterte Nicole durch den Türspalt.
    Ich atmete erleichtert auf. »Du hast mich ganz schön erschreckt.«
    »Es wird allmählich spät. Alles in Ordnung?«
    »Bestens.«
    Sie kam näher. »Was suchst du?«
    »Eine Akte. Du hast mich auf eine Idee gebracht.«
    »Deine Akte?«
    »Ich kann sie nicht finden.«
    »Sie muss hier sein«, beharrte sie. »Vielleicht liegt sie bei der von Bodie, Sema und mir. Gibt es eine eigene Schublade für die Kinder, die derzeit hier sind?«
    »So weit bin ich noch nicht.« Ich deutete auf einen Stapel auf dem Boden. »Im Schreibtisch vielleicht?«
    Nicole legte die Stapel vorsichtig auf den Schreibtisch und las sie rasch, als wäre es zwölf Uhr mittags und die Augustsonne schiene.
    »Wie kannst du genug sehen, um zu lesen?«, fragte ich sie.
    »Die Lampe ist ziemlich hell. Hier sind sie ja.«
    »Meine auch?« Ich verstaute die Akten, die ich durchgeblättert hatte, wieder in der Schublade und schloss sie.
    »Noch nicht.«
    Wir durchsuchten weiter den Schreibtisch der Heimleiterin, wobei wir darauf achteten, alles wieder genau an seinen Platz zu legen.
    »Da hätten wir sie.« Nicole hielt mir meine Akte hin.
    Meine Hand zitterte. »Lies du sie.« Es war zu viel für mich. Was, wenn die Heimleiterin recht hatte? Was, wenn ich wirklich ungewollt und ungeliebt war?
    »Bist du sicher?«
    »Beeil dich«, trieb ich sie an.
    »Gib sie mir.« Ich reichte ihr die Taschenlampe und nahm die Akte.
    Ein Auto bog in die Einfahrt ein.
    »Nein!« Ich ließ die Akte fallen. Seiten flogen in alle Richtungen. »Sie ist zurück.« Meine Hände konnten die Papiere nicht schnell genug aufheben. »Ist es schon so spät?«
    »Keine Panik.« Nicole half mir beim Aufsammeln. »Warte, was ist das?«
    »Kopier es einfach.«
    Nicole steckte das Blatt Papier in den kleinen Fotokopierer, während ich aus dem Fenster schaute.
    »Papierstau!« Nun klang Nicoles Stimme ebenso angespannt, wie ich mich fühlte.
    »Dann lass es.«
    »Aber so sieht sie es, wenn es schon kopiert worden ist.«
    »Verdammt!« Ich konnte den Blick nicht vom Fenster abwenden. Obwohl ich wusste, dass ich losrennen musste, wollten meine Füße sich nicht bewegen.
    Die Heimleiterin ließ ihren Schlüsselbund fallen. Während sie sich bückte, um ihn aufzuheben, hörte ich in der Einfahrt eine Stimme.
    »Hallo? Verzeihung?«
    Ich reckte den Hals, um besser sehen zu können. »Das …« Ich erkannte den Jungen und das Mädchen, die ich am Fluss getroffen hatte. Was wollten sie hier?
    »Wer ist das?« Nicole machte sich am Innenleben des Kopierers zu schaffen. »Ich hab’s. Bin fast fertig. Soll ich es noch mal versuchen?«
    »Nein, lass uns verschwinden.«
    Ich lauschte den Stimmen der Heimleiterin und der beiden anderen, während wir noch eine Kontrollrunde durch den Raum machten.
    »Was sagen sie?«, flüsterte Nicole.
    »Keine Ahnung.« Offenbar war alles wieder an seinem Platz.
    »Schnell, sie kommen rein.«
    Nicole und ich schlichen in den Flur und spähten über das Treppengeländer.
    »Sie überschlägt sich fast vor Freundlichkeit.« Nicole klang überrascht.
    Ich zuckte mit den Schultern. Das war mir nicht neu. »Gegenüber fremden Leuten benimmt sie sich immer so. Charmant und lächelnd.«

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