Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
Vom Netzwerk:
Blick aus.
    »Warum?«, fragte ich auf dem Weg in die Küche. Allerdings gab es auf der ganzen Welt keine ausreichende Erklärung dafür. Meine Tante wirkte völlig entkräftet.
    »Eine Warnung. Ein Versprechen.« Sie schien sichtlich schockiert.
    »Von wem?«
    »Hast du etwas gespürt, während wir genäht haben?« Sie löffelte Teeblätter in die Kanne, doch ihre Bewegungen waren ruckartig und unbeholfen.
    Ich schob ihr einen Stuhl zurecht und übernahm das Tee kochen. »Angst? Mein Herz hat schneller geklopft, und mein Mund war plötzlich ganz trocken.«
    »Sehr gut.«
    »Warum?«
    »Weil du sie auch wahrgenommen hast. Die Aternoctiwaren hier, Kleines. Du darfst dieses Gefühl nie vergessen, denn eine andere Ankündigung bekommst du nicht. Ich habe gehört, dass sie Pfeile und geschändete Kadaver zurücklassen. Aber ich habe es nie selbst erlebt.«
    »Ist früher schon einmal etwas Ähnliches passiert?«
    »Alberne Streiche, Toilettenpapier, Eier, Farbbeutel, also nichts, was ich nicht gelangweilten Jugendlichen zuschreiben würde.«
    »Welchen aus der Kirche?«
    »Kann sein.«
    »Sind die Aternocti denn Kirchgänger?«
    »Vielleicht, um nicht unangenehm aufzufallen. Doch da so viele Fremde zugezogen sind und alte Bekannte fortgehen, ist es schwer festzustellen, wer dazugehören könnte.«
    Der Teekessel pfiff. Ich goss das kochende Wasser in die Teekanne und sah zu, wie Dampf aus der Tülle aufstieg, als der Tee zog.
    »Du musst auf dich selbst vertrauen. Sei stets auf der Hut, sonst erwischen sie dich. Obwohl sie keine Skrupel hätten, dich zu ermorden, werden sie vermutlich eher versuchen, dich zu einer der ihren zu machen, damit deine Energie nicht der Gegenseite zugutekommt. Wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten, werden sie dich umdrehen.«
    »Wie?«
    Sie rang die Hände. »Das weiß ich nicht genau. Ich bin noch nie einem Aternoctus begegnet. Jedenfalls habe ich gehört, dass eine Fenestra sich in Gegenwart von einem von ihnen umbringen muss. Und anstatt ihre Seele auf die Reise zu schicken, versetzt er sie dann irgendwie in ihren Körper zurück.«
    »Nun, da ich nicht vorhabe, Selbstmord zu begehen, bin ich ja aus dem Schneider.«
    Ihre Miene war aufgewühlt. »Es tut mir leid, Meridian. Ich hätte mich besser auf die Aternocti vorbereiten sollen. Ich hätte mehr tun müssen, um …«
    »Hör auf damit«, fiel Tens ihr ins Wort und kam in die Küche marschiert. »Du hast keine Erfahrung damit, richtig?«
    »Stimmt.«
    »Also brauchst du dich auch nicht zu entschuldigen. Wir schaffen das. Richtig, Meridian?«
    Ich war mir da nicht so sicher, denn die Tante schien außer sich zu sein und machte sich offenbar große Vorwürfe wegen ihrer angeblichen Versäumnisse. Im Moment erweckte sie den Eindruck, als ob das leiseste Lüftchen sie umpusten könnte. »Richtig, Tens und ich finden eine Lösung.«
    Danke,
flüsterte er mir zu.
    Die Tante schürzte die Lippen. »Ich muss mich hinlegen«, seufzte sie dann. »In letzter Zeit kann ich kaum noch die Augen offen halten. Kommt ihr allein zurecht?« Sie schlurfte aus der Küche, bevor der Satz beendet war.
    »Bist du sicher, dass du keine Hilfe brauchst?« Ich wollte ihr folgen, doch sie stieg die Treppe hinauf, ohne mir zu antworten.
    »Tut mir leid«, sagte Tens, der auf der Schwelle stand.
    »Was denn?« Als ich ihn ansah, erschrak ich kurz wegen seines eindringlichen Blicks.
    »Ich hätte da sein sollen. Ich hätte …«
    »Was? Wolltest du etwa die Flinte benützen?«, versuchte ich es mit einem Scherz, der jedoch kläglich scheiterte.
    Zornig schlug Tens gegen den Türrahmen. Es war nichtzu übersehen, dass er sich für uns verantwortlich fühlte. »Die Sache ist zu wichtig. Es ist meine Pflicht …«
    »Tens, der Fehler liegt nicht bei dir. Warum entschuldigst du dich?«
    Er schlüpfte aus seiner Jacke und ließ seine hagere Gestalt auf einen Stuhl sinken.
    Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, schenkte ich ihm eine Tasse Tee ein.
    »Ich hätte hier sein sollen. So einfach ist das.« Er nahm große Schlucke von dem Tee, als wolle er sich selbst bestrafen, indem er sich die Speiseröhre verbrühte.
    »Alles ist gut. Vergiss es.«
    »Wie geht es ihr?«
    »Bis zu diesem Zwischenfall gut, glaube ich.« Ich kaute an meiner Unterlippe, unsicher, ob ich die nächste Frage stellen sollte. Aber ich brauchte die Antwort. »Wie lange noch? Ich meine die Tante. Du weißt schon. Bevor sie …« Ich konnte den Satz nicht beenden.
    »Nicht mehr lange.«
    »Jahre?

Weitere Kostenlose Bücher