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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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Seele sie für sich beanspruchte.Rasch öffnete ich die Augen, bevor mir zu schwindelig wurde, um weiterzugehen.
    Das Rufen und Schreien klang gedämpft. »Helfen Sie mir bitte!« Eine Hand streckte sich mir aus der Dunkelheit entgegen. Die Frau wackelte mit den Fingern, als winke sie mir zu.
    Instinktiv griff ich nach der Hand, ohne ihren restlichen Körper unter den Trümmern sehen zu können. Der Körperkontakt zog mich hinunter wie eine Meeresströmung. Sie hatte Angst und fürchtete sich schrecklich vor dem Tod. Sie wollte nicht gehen. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Tante Merry hatte mir nicht erklärt, wie mit unentschiedenen Seelen zu verfahren war. Ich fühlte mich, als wolle die Frau stattdessen mich auf die andere Seite stoßen. In meinem Zimmer rangen wir miteinander, weil sie nicht loslassen wollte. Ich wehrte mich aus Leibeskräften, doch als ich Luft holte, zog sie noch einmal an, und ich verlor die Besinnung.

Kapitel 28
     
     
    Ich schüttelte sie ab und hielt den Atem an. Dann redete ich beruhigend auf mich ein, bis ich mich wieder gefasst hatte. Die anderen freiwilligen Helfer wickelten Überlebende in Decken oder versuchten Blutungen zu stillen. Ich konzentrierte mich auf die Sterbenden, denn das war ja angeblich mein Spezialgebiet. Als der nächste tödlich Verwundete mich am Bein packte, verschwamm mir alles vor Augen, und Schwindel ergriff mich, während der Mann mit blitzartiger Geschwindigkeit aus dem Fenster auf seinen Lieblingsstrand auf Hawaii sprang.
    Zähe Flüssigkeiten tropften auf mich herab. Der Geruch nach Urin und Schwefel war übermächtig. Als ich mich würgend vorbeugte, kam nur Luft. Ich fühlte mich schwummerig und benommen. Also stellte ich mir das Fenster vor und versuchte, die frische Brise im Gesicht zu spüren.
    »Holen Sie mein Baby raus. Bitte.« Vorsichtig kroch ich weiter, weil ich in dem umgekippten Waggon nicht aufrecht stehen konnte. Meine Hände waren glitschig von einer Mischung aus Blut und anderen Flüssigkeiten, an die ich lieber gar nicht denken wollte. Ich wuchtete einen Koffer hoch, der auf einer Frau lag. Sie war auf ein großes Metallstück aufgespießt, das offenbar von einer Tür stammte,allerdings bei vollem Bewusstsein. Die Frau hielt mir ein Kleinkind hin, das längst tot zu sein schien und schlaff und leblos in ihren Armen hing. Es trug nur ein T-Shirt und eine Windel. Als sie mir den kleinen Körper hinstreckte, stockte ihr Atem. »Bitte …«
    Ich befand mich in einem der mit einer Glaskuppel versehenen Panoramawagen. Das Glas war zwar von Rissen durchzogen, aber nicht völlig zerbrochen. Ich lehnte mich zurück und trat gegen die Scheibe. Das bruchsichere Glas ächzte. Ich trat noch einmal zu. Auf der anderen Seite dieser Scheibe warteten frische Luft und Hilfe. Dabei stellte ich mir weiter das Fenster vor, und wieder ging eine Seele durch mich hindurch.
    Endlich gelang es mir, ein Loch zu schlagen. Qualm und Hitze wehten hinaus, während kalte, saubere Luft hereinströmte. Ich nahm einen Mantel und wickelte ihn mir um den Arm, um das Loch so weit zu vergrößern, dass eine Person hindurchpasste. Ich. Dann griff ich nach dem Baby und berührte die Hand der Mutter.
    »Danke«, sagte sie. Und dann war sie fort und ließ mich mit dem flüchtigen Eindruck von Zimt und der Musik von Bob Marley zurück.
    Die Energie des Babys war ebenfalls fort. Doch ich empfand Frieden, als die Frau auf der anderen Seite von einem jungen Mann in Uniform in Empfang genommen wurde. Hustend und von Glasscherben zerkratzt, quälte ich mich durch das Loch. Draußen hüllte ich das Baby sorgfältig in einen anderen Mantel und legte es, ein Stück vom Waggon entfernt, auf den Boden. Rufen, Sirenengeheul, Schreie und das Dröhnen des Feuers füllten meine Ohren, bis sie beinahe platzten.
    Ich hielt Ausschau nach Tens und fragte mich, wo er wohl war und was er gerade tat. Dabei atmete ich in tiefen Zügen die frische Luft ein. Am liebsten wäre ich gelaufen, bis ich mich wieder sauber und im Reinen mit mir fühlte. Aber ich tat es nicht. Feuerwehrleute und Nachbarn gaben in den anderen Waggons ihr Bestes. Es waren so viele, die Hilfe brauchten, und so wenige Helfer. Wir waren nicht genug, als dass ich mich lange hätte ausruhen können. Also drehte ich mich um und kletterte durch das Loch im Fenster zurück in den Waggon. Einige der Passagiere waren bereits tot, andere schwer verletzt.
    Ich weiß nicht, wie oft ich hin und her lief. Ich wuchtete

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