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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Tür zu seinem Zimmer geschlossen war. Den ganzen Donnerstag über kam er nicht heraus, lag auf dem Bett, den Kopfhörer auf, neben sich das große Kofferradio mit dem Kassettenteil. Das Ding hatte er sich zusammengespart in den Wochen nach Irenes Einzug ins neue Haus.
    Da war eine Menge Arbeit gewesen. Ein Neubau, rings herum nur nackte Erde. Irene wollte einen schönen Garten. Rasen, ein paar Ziersträucher und Blumen. Aber Irene war hochschwanger und fragte ihn, ob er ihr helfen wolle. Dann machte er die Arbeit praktisch allein, unter ihrer Anleitung. Sie bezahlte ihn dafür, lobte ihn natürlich auch und versuchte schon dabei, ihm eine Lehrstelle in einer Gärtnerei schmackhaft zu machen.
    Aber das wollte er nicht, weil das Sozialamt ihn hin und wieder dazu verdonnerte, den Müll in einem Park aufzusammeln. Da mochte Irene ihm noch hundertmal erklären, es wäre ein großer Unterschied, ob man einen Park gestaltete oder aufräumte, für ihn war es dasselbe.
    Als er auch um die Mittagszeit auf seinem Bett liegen blieb, nicht zum Essen kam, wo er schon kein Frühstück gewollt hatte, hielt Annemarie Ziriak es nicht länger aus. Sie rief bei Irene an in der Hoffnung, sie könne herkommen und mit ihm reden. Doch es ging niemand ans Telefon.
    Am Nachmittag versuchte sie es noch einmal. Da meldete sich eine Männerstimme, nannte keinen Namen, es kam nur ein fragendes Ja aus dem Hörer. In der Annahme, sie habe Irenes Mann in der Leitung, fragte Annemarie Ziriak: «Kann ich mal Ihre Frau sprechen?»
    «Worum geht es denn?», wollte der Mann wissen.
    «Ist doch egal», sagte Annemarie Ziriak und fragte etwas nachdrücklicher: «Kann ich Irene nun sprechen oder nicht?»
    «Im Augenblick leider nicht», sagte der Mann. «Aber wenn Sie mir Ihren Namen nennen, werde ich ausrichten …»
    In dem Augenblick begriff Annemarie Ziriak, dass sie nicht mit Irenes Mann sprach. Mit Gernot Brandes hatte sie ein einziges Mal telefoniert, und er war so was von kurz angebunden gewesen, hatte kein einziges freundliches, nicht mal ein höfliches Wort über die Lippen gebracht sie nur knapp abgefertigt wie den letzten Dreck. Er hatte garantiert nicht zuvorkommend angeboten, etwas auszurichten.
    Wer der Mann am Telefon sein könnte, darüber dachte sie nicht nach, wartete auch nicht ab, was er sonst noch sagte. Sie legte den Hörer auf, starrte zu der geschlossenen Zimmertür hinüber, hinter der ihr Sohn auf seinem Bett lag. Sie ging langsam auf die Tür zu, rief sich all die guten Ratschläge und Verhaltensmaßregeln ins Gedächtnis, die Irene ihr vor drei Jahren eingehämmert hatte, viel half es jedoch nicht.
    Ihr Herz schlug hoch oben in der Kehle, als sie die Klinke herunterdrückte. Es war fast, als trete sie mit dem nächsten Schritt ins Leere. Sie ging bis zum Bett, blieb daneben stehen und schaute auf ihn hinunter. Er hatte die Augen geschlossen. Es war ein Kraftakt, eine Hand auszustrecken und ihn auf die Schulter zu tippen. Er schlug die Augen auf, seine Finger griffen nach links hinüber, schalteten den Radiorecorder aus. Den Kopfhörer nahm er nicht ab. «Was willst du, Marie?»
    «Sag mir doch, was los ist», bat sie. «Hast du Ärger gehabt?»
Er schüttelte den Kopf. Da er nicht gleich wütend wurde, raffte sie das Restchen Mut zusammen und sprach weiter.
«Aber das ist doch Blut auf deinem Hemd und in deinen Schuhen, oder? Das muss eine Menge Blut gewesen sein. Wie ist das denn passiert? Meinst du, ich sollte mal Frau Baresi anrufen? Vielleicht willst du lieber mit ihr sprechen.»
Er machte immer noch keine Anstalten, nach ihr zu schlagen. Also fuhr sie fort: «Bei Irene hab ich’s schon probiert, aber sie scheint nicht da zu sein. Es war ein Mann am …»
Weiter kam sie nicht. Er begann so plötzlich und so laut zu lachen, dass sie erschreckt vom Bett zurücktaumelte. Dann warf er sich auf die Seite, riss das Kissen unter seinem Kopf hervor und stülpte es sich darüber. Und unter dem Kissen lachte er weiter, den ganzen Abend und die halbe Nacht hindurch. Er hörte gar nicht mehr auf zu lachen.
Am Freitagmittag las Annemarie Ziriak es dann ebenfalls in der Zeitung, die eine Nachbarin ihr immer an die Tür klemmte, wenn sie selbst alles gelesen hatte. Eine Bluttat in einem Einfamilienhaus am Stadtrand. Irene B. mit zahlreichen Messerstichen getötet. Daneben die Phantomzeichnung vom mutmaßlichen Täter. Sehr ähnlich war sie ihm nicht, jedenfalls nicht vom Gesicht her, nur die Haare, diese blöde Frisur.
Annemarie Ziriak

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