Merkels Tochter. Sonderausgabe.
las es zweimal, aber es wurde dadurch nicht verständlicher. Kurz darauf kam er in die Küche. Zu Mittag gekocht hatte sie nicht, es war immer noch Kartoffelsuppe von Mittwoch da. Die hätte sie rasch aufwärmen können. Aber daran dachte sie in dem Moment nicht. Er schnitt sich eine dicke Scheibe Brot ab, aß sie trocken, strich nicht einmal Margarine drauf, von der Leberwurst, die er so gerne mochte, ganz zu schweigen.
Als er sich wieder auf sein Bett legte, nach dem Kopfhörer griff, ging Annemarie Ziriak noch einmal bis zur Tür seines Zimmers. Irenes Stimme klang ihr im Kopf, die von einem Vater sprach, der ein Mörder war. Und dass es keinen Unterschied gab zwischen Vätern und Söhnen. Dass man sie lieben musste, egal was sie angerichtet hatten. «Sag mir doch, was passiert ist», bat sie. «Du hast Irene doch nichts getan, oder? Ich meine, sie war vielleicht nicht immer nett zu dir, aber sie hat’s ja nur gut gemeint, und …»
Er fuhr in die Höhe wie mit einer Feder aufgezogen, streckte den Arm in ihre Richtung, fuchtelte damit herum, sodass sie erschrocken abbrach. Seine Stimme überschlug sich fast, beim Sprechen spuckte er gekauten Brotbrei ins Zimmer.
«Quatsch keine Scheiße, Marie! Ich doch nicht. Ich war gar nicht weg am Mittwoch. Besser, du schreibst dir das auf, falls dich einer danach fragt. Ich war den ganzen Tag hier, keinen Fuß hab ich vor die Tür gesetzt. Kannst du dir das merken?»
Als sie nickte, fragte er: «Hast du meine Klamotten schon gewaschen?»
Sie schüttelte den Kopf, und er sagte: «Brauchst du auch nicht. Kümmer dich nur mal drum, ob du die Schuhe sauber kriegst.» Dann legte er sich noch einmal zurück, verschränkte die Arme im Nacken und murmelte in einem ungläubigen Ton: «Mein Gott, Marie, du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Blut ein Mensch im Leib hat. Massig, sag ich dir, massig. Die ganze Küche war versaut, und ihre Klamotten trieften.»
Nun wusste Annemarie Ziriak zwar genau, mit wessen Blut er sein T-Shirt und seine Schuhe verdorben hatte. Sie wusste auch, warum er gelacht hatte, als sie sagte, sie hätte mit Irene sprechen wollen. Aber sie begriff nicht, wie er das hatte tun können. Mit zahlreichen Messerstichen. Sie hatte noch nie ein Messer bei ihm gesehen. Wozu hätte er auch eins gebraucht? Er verließ sich auf seine Fäuste. Und so dumm konnte er nicht gewesen sein, seine einzige Chance auf eine solide Zukunft abzustechen.
Kurz darauf kam er in die Küche, nahm sich eine leere Aldi-Tüte aus dem Schrank, stopfte die Jeans und das TShirt hinein und verließ die Wohnung. Seine Schuhe konnte er nicht wegwerfen, er hatte nur das eine Paar. Als er zurückkam, nach etwa einer halben Stunde, stellte er ihr die Schuhe auf die Abtropffläche des Spülbeckens. «Na los doch», verlangte er, «sieh zu, dass die Sauerei rausgeht.»
In der Nacht zum Samstag kamen vier Polizisten, zwei in Uniform und zwei in Zivil, einer davon war Heinen, den Kurt Seifert nach Merkels Anruf sofort aus dem Bett gescheucht hatte. Annemarie Ziriak hatte noch nicht geschlafen. Sie öffnete mit verweintem Gesicht. Beim Anblick der Uniformen und der Dienstmarken schlug sie die Hände vor den Mund und brach in lautes Weinen aus. Die Polizisten kümmerten sich nicht um sie, schoben sie von der Tür weg.
Die beiden Uniformierten bezogen Posten im Flur, um jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Heinen und sein Kollege gingen in Helmut Ziriaks Zimmer. Er lag immer noch auf dem Bett, neben sich den Radiorecorder. Vor dem Bett standen seine nassen Schuhe. Er hörte Musik über den Kopfhörer, schnipste mit den Fingern den Takt und bewegte die Schultern dazu. Auch sein Kopf bewegte sich auf dem Kissen, ruckte auf und ab.
Anscheinend hatte er sie nicht hereinkommen hören. Da er auf mehrfaches Ansprechen nicht reagierte, tippte Heinen ihn auf die Schulter. Er fuhr in die Höhe und riss sich gleichzeitig den Kopfhörer herunter. Für einen Moment dröhnte eine Männerstimme durchs Zimmer. «Wenn ich König von Deutschland wär.»
Ziriak starrte die beiden Männer feindselig an und erkundigte sich in aufsässigem Ton. «Ist was?» Dann schaltete er endlich die Musik ab. Heinen erklärte ihm, wessen er verdächtigt wurde, belehrte ihn über seine Rechte und stellte die Schuhe sicher. Ziriak ließ sich ohne Widerstand festnehmen, wies nur darauf hin, dass er sie auf Socken begleiten müsse, wenn sie ihm nicht erlaubten, seine Schuhe anzuziehen. Und er weigerte sich, ein paar Sachen zu packen.
Als seine
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