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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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dünnen Haut zusammengehalten wurde. Annemarie Ziriak hatte sie nicht mal anfassen dürfen in den letzten Wochen. Es hätten ja Fettflecken draufkommen können.
Als er am Mittwochnachmittag nach Hause kam, trug er die Mappe wie üblich unter dem Arm. Die dünne Pappe wellte sich vor Feuchtigkeit. Er sah auf, als wäre er mitsamt seinen Kleidern unter eine Dusche gestiegen. Der Haarstreifen auf dem Kopf reckte sich nicht wie sonst in die Höhe, lag flach auf dem Schädel. Die Jeanshose war durchnässt. Und sein T-Shirt war vorher nicht rot gemustert gewesen.
Er ging in sein Zimmer, ohne etwas zu erklären, feuerte die Mappe in eine Ecke. All die Fragebogen rutschten heraus und verteilten sich über den Fußboden, während er sich so wie er war auf sein Bett warf. Nicht mal die Schuhe zog er aus. Dann hörte er Musik. Immer dasselbe Lied, er hatte es seit drei Jahren nicht mehr gehört. Aber davor oft. «Wenn ich König von Deutschland wär.»
Die Tür zu seinem Zimmer hatte er offen gelassen. Annemarie Ziriak folgte ihm, blieb in der Tür stehen und bat ihn, die Musik etwas leiser zu machen, ehe die Nachbarn sich beschwerten. Ob sie auch fragen durfte, warum sein T-Shirt so verfärbt war, wusste sie nicht. Besser, man stellte ihm keine Fragen, wenn er in dieser Verfassung war.
Annemarie Ziriak hatte ihn schon einmal in einer solchen Verfassung erlebt vor drei Jahren, als er in der Straßenbahn einen Mann zusammengeschlagen hatte. Da war er auch mit Blut auf der Kleidung nach Hause gekommen. Sie hätte geschworen, dass es Blut war auf dem T-Shirt, notdürftig ausgewaschenes Blut. Während sie noch überlegte, setzte er sich den Kopfhörer auf, da war er sowieso nicht mehr ansprechbar.

22. Kapitel
    Am späten Abend kam Helmut Ziriak auf nackten Füßen in die Küche. Er hatte sich umgezogen, trug nun den zerschlissenen NATO-Kampfanzug. Essen wollte er nichts, warf nicht mal einen Blick in den Topf auf dem Herd, obwohl er riechen musste, dass seine Mutter ihm sein Leibgericht gekocht hatte. Kartoffelsuppe mit geräuchertem Speck und Zwiebeln.
    Er nahm die Nagelschere aus einem Schubfach des Küchenschrankes, setzte sich damit an den Tisch und schnitt sich die Fingernägel so kurz, dass nicht einmal mehr ein Hauch davon über den Fingerkuppen stand. Anschließend ritzte er mit der scharfen Scherenspitze an seinen Fingerkuppen herum. Es sah so aus, als wolle er sich die Nägel reinigen. Aber es waren ja keine Nägel mehr da, nur noch die Stücke, die fest angewachsen waren. Ein paar Mal zog er zischend die Luft ein, weil er sich verletzt hatte, steckte den betreffenden Finger in den Mund und lutschte daran wie ein kleines Kind. Als er mit den Fingern fertig war, wiederholte er die Prozedur an den Füßen. Seine Augen sahen aus, als hätte er stundenlang geweint.
    Annemarie Ziriak fragte ihn vorsichtig, wo er sich das TShirt so versaut habe. Und ob er denn heute nicht bei Irene gewesen sei. Er brüllte sie an: «Halt die Schnauze, Marie, sonst kriegst du eine rein, die wirst du nie im Leben vergessen. Wenn ich den Namen nochmal von dir hör, war es das Allerletzte, was du aus deinem verdammten Maul rausgelassen hast.»
    In dem Moment kam die Angst. Dass er Irene etwas angetan haben könnte, zog Annemarie Ziriak nicht in Betracht. Obwohl er am Montag mit sehr schlechter Laune zurückgekommen war und den ganzen Dienstag herumgemosert und geflucht hatte wegen der Lehrstelle in der Gärtnerei, die er partout nicht wollte. «Der werd ich’s zeigen.» Den Satz hatte er gut hundertmal ausgestoßen und ebenso häufig gesagt:
    «Die wird sich noch wundern.»
    So vermutete Annemarie Ziriak, es habe bei Irene Streit gegeben, und er habe seine Wut auf dem Nachhauseweg an irgendjemandem ausgelassen. Vielleicht wieder an einem Fahrgast in der Straßenbahn wie vor drei Jahren. Aber wo war er dann so nass geworden? An einem Brunnen? Oder am Bahnhof? Da gab es Duschen.
    Während er in der Küche weiter mit seinen Fußnägeln beschäftigt war, ging sie in sein Zimmer, sammelte die Fahrschul-Bogen auf, steckte sie zurück in die Mappe und legte sie auf die Fensterbank. Danach hob sie seine Jeans und das rot verfärbte T-Shirt vom Boden auf. Es musste Blut sein, eine andere Erklärung fand sie nicht. Seine Schuhe, die nun vor dem Bett standen, waren auch rot verschmiert, aber nur innen. Und seine Socken waren nicht da. Das passte nicht zu ihrer Vorstellung von einer Schlägerei.
    In der Nacht zum Donnerstag hörte sie ihn weinen, obwohl die

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