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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Dann solltest du ihnen aber auch die Brieftaschen klauen, sonst bringt das nichts. Oder willst du lieber dealen? Da könnte ich dich mit ein paar Leuten bekannt machen, die immer einen Dummen suchen, der den Kopf für sie hinhält. Einbrüche und Autodiebstahl kann ich nicht mehr empfehlen, Alarmanlagen und Diebstahlsicherungen werden immer besser. Und die Hehler zahlen so gut wie nichts.» Er stand da, starrte Irene an, ganz sprachlos und verwundert und irgendwie klein mit seinen fast zwei Metern.
    Danach war es erträglich geworden mit ihm. Im letzten Jahr, seit er dreimal die Woche zu Irene ging, konnte man sogar ganz normal mit ihm reden. Vor vier Monaten war er in die Küche gekommen, hatte sich eine alte Zeitung genommen, sie angeschaut, dabei so schelmisch gegrinst und gefragt: «Soll ich dir mal was vorlesen, Marie?»
    Er hatte sie nie Mutter oder Mama genannt, sie auch nie mit ihrem vollen Namen angesprochen. Immer nur Marie, aus seinem Mund klang es sehr abfällig. An dem Tag nicht, da hatte es heiter geklungen, so heiter wie sein Grinsen. Und dann hatte er ihr etwas vorgelesen, er, der gar nicht lesen konnte. Seit dem Tag konnte er es. Gut, es klang nicht so flüssig, wie es hätte klingen sollen, konnte man wohl auch nicht erwarten von ihm. Für manche Worte brauchte er ziemlich lange, ehe er sie zusammenbuchstabiert hatte. Aber selbst das wurde mit der Zeit etwas besser.
    Und vor ein paar Wochen war er mit dieser Mappe nach Hause gekommen, hatte gefragt. «Was hältst du davon, wenn ich den Führerschein mache, Marie?»
    Um ehrlich zu sein, gar nichts. Er arbeitete nicht. Das Sozialamt zahlte Unterstützung für ihn, laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, ansonsten hatten sie nur die kleine Rente, die Annemarie Ziriak seit ihrem Unfall vor acht Jahren bezog. Sie war arbeitsunfähig seitdem, aber es war kein Arbeitsunfall gewesen, entsprechend wenig bekam sie. Seit der letzten Mieterhöhung langte es hinten und vorne nicht mehr.
    Ein Führerschein kostete ein Vermögen. Und damit allein war es ja nicht getan. Wenn er ihn erst in der Tasche hatte, wollte er garantiert auch ein Auto dazu. Doch solche Gedanken offen auszusprechen, hätte sie nie gewagt, Dafür hatte er sie zu oft geschlagen, früher, seit drei Jahren nicht mehr. Doch so etwas vergaß man nicht.
    «Wenn ich den Lappen habe, kriege ich auch die Stelle», sagte er. «Willst du wetten, Marie?»
Automechaniker wollte er werden, das war sein großer Traum. Vor zweieinhalb Jahren hatte Irene ihm einen Praktikumsplatz beschafft, obwohl er keinen Schulabschluss hatte. Für ein paar Wochen durfte er in einer Werkstatt arbeiten. In der Zeit war er sehr umgänglich gewesen, stolz auf sich. Sie zahlten ihm ein paar Mark, sein erstes selbst verdientes Geld. Doch als es dann um einen Lehrvertrag ging, wer nahm schon einen, der nicht lesen und nicht schreiben konnte? Und nochmal auf die Schulbank, wie Irene vorschlug, das wollte er um keinen Preis der Welt, hatte Angst, dass man ihn auslachte.
Er tat längst nicht alles, was Irene ihm sagte, jedenfalls nicht sofort. Manchmal dauerte es eine Weile, ehe er begriff, was für ihn gut war. Aber lesen konnte er ja nun. Und er meinte, er könne sich auch noch einmal alleine in der Werkstatt bewerben, wo er das Praktikum gemacht hatte. «Für die ist nur wichtig, dass ich fahren kann», meinte er.
Ob Irene das auch so sah, wusste Annemarie Ziriak nicht. Es hatte seit langem keinen Grund mehr gegeben für Besuche. Irene hatte wohl auch sehr viel um die Ohren gehabt. Und sie mal anrufen, am Telefon war Annemarie Ziriak gehemmt, wusste nicht, wie sie sich ausdrücken und was sie überhaupt sagen sollte.
Auf jeden Fall hatte Irene ihm die Mappe aus der Fahrschule besorgt, übte mit ihm und hatte wohl auch versprochen, etwas Geld beizusteuern, jedenfalls behauptete er, sie hätte ihm das versprochen. Normalerweise saugte er sich so etwas nicht aus den Fingern. Es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, dass Irene ihm Geld zugesteckt hätte.
Sie hatte gesagt, für jede richtige Antwort bekäme er eine Mark, für jeden kompletten Bogen zehn. Und wenn er es schaffe, sämtliche Fragen an einem einzigen Nachmittag richtig zu beantworten, gäbe es einen glatten Tausender. Das wäre dann fast der Führerschein, vorausgesetzt, er sparte die Zehner, die sich im Laufe der Wochen ansammelten. Das tat er.
Er hütete die Mappe mit den Bogen wie ein rohes Ei, von dem jemand die Kalkschale abgepellt hatte, sodass es nur noch von der

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