Merlin und die Feuerproben
Stöhnen der Stimmen,
denn ich fühlte mich plötzlich zu aufrecht, zu steif, zu sehr wie Holz und nicht genug wie Wind.
Wortlos gingen wir tiefer in die Höhle und duckten uns unter eine Reihe Eiszapfen, die wie Gitterstäbe über dem Eingang hingen.
Die Höhle führte nicht in die Tiefe, sondern direkt in die Klippenwand hinein. Die Luft war schwer und feucht, als würden
wir in einer Wolke gehen, einer rauchigen Schwefelwolke. Zugleich war es wärmer, als ich erwartet hatte, und das erinnerte
uns daran, dassdie Lava, die vor so langer Zeit diese Felsen geformt hatte, immer noch unter der Oberfläche floss.
Während wir tiefer in den Berg hineingingen, wurde das flackernde Licht, das uns entgegenschien, stärker. Woher es wohl kam?
Zweifellos würden wir es bald erfahren. Viele Tausende schwarzer Kristalle bedeckten Boden, Wände und Decke. Sie drangen sogar
durch meine Stiefel und stachen mir in die Füße. Ich bewunderte Hallias Leichtfüßigkeit; so anmutig wie ein Damtier auf einem
Moosteppich ging sie darüber und schmiegte sanft die Zehen an die Facetten.
Bei jedem Schritt leuchteten die schwarzen Kristalle heller. Ihre Flächen funkelten wie lauter Augen – die uns anstarrten
und einander zublinzelten, während wir vorbeigingen. Selbst ohne meine Magie spürte ich, dass diese Kristalle einen seltsamen
eigenen Zauber besaßen.
Höhlen hatte ich schon immer geliebt. Vor allem Kristallhöhlen mit ihren stillen Tiefen, ihren geheimnisvollen Schatten, ihren
leuchtenden Facetten. Als wir weiter in die Tiefe vordrangen, schufen die schwarzen Kristalle immer verschlungenere Muster.
Kreise, Wellen, Spiralen – und willkürlichere Formen. Die meisten waren schwarz, doch einige glänzten gelb, rosa und violett.
Über unseren Köpfen hing eine Reihe Stalaktiten, lavendelfarben und so uralt! Sie schwebten da wie die Bärte der vergangenen
Zeit.
Ich blieb stehen, um sie näher zu betrachten – und fuhr zusammen. Da klammerte sich an den Fuß eines Stalaktiten ein dunkles,
knochiges Geschöpf. Obwohl ich gleich wusste, dass es nur eine Fledermaus war, glich es zu sehr einem anderen Wesen, dem ich
nie wieder begegnen wollte.
Mit dem Licht in der Höhle wurden auch die Stimmen stärker. Und zugleich steigerte sich ihre Qual. Ob sie stöhnten, flehten
oder schmeichelten, aus allen klang heftiger Schmerz. Aber … ich konnte keines ihrer Worte unterscheiden. Nur ihre Gefühle. Wenn sie tatsächlich die vielen Stimmen des Rads von Wye
waren, dann verkrampfte sich mein Magen bei der Vorstellung, eine – und nur eine Einzige – von ihnen allen auszuwählen.
Das silbrige Licht flackerte über Hallias Gesicht. »Kannst du sie verstehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht. Nur … den Schmerz.« Ein spröder Kristall brach unter meinem Absatz. »Wie werde ich wissen, welche ich wählen soll?«
Sie ging langsamer und berührte einen gebogenen Kristallarm, der aus der Wand ragte. »Erinnerst du dich, was Eremon sagte,
bevor er … uns verließ?«
»Ja«, antwortete ich düster. »
Finde den Galator.
«
»Nein, nein. Danach. Er sagte:
Du hast mehr Kraft, als du weißt
.«
Mutlos schob ich meinen Stiefel über einen Buckel funkelnder Kristalle. »Er meinte sein Geschenk an mich – die Hirschkraft.«
Sie runzelte die Stirn. »Er meinte mehr als das, Merlin. Du hast – nun, eine bestimmte Art Magie. Und Kraft. Ja, sogar jetzt.«
Ich sah sie skeptisch an. »Welche Art Magie?«
Sie überlegte ein paar Sekunden lang. »Ich weiß nicht genau, wie ich sie nennen soll. Aber wie sie auch heißt, sie reichte
aus, ihn zu seinem Geschenk anzuregen. Und in dir den Wunsch zu wecken, diesem neugeborenen Drachen zu helfen, selbst wenn
du ihn nicht retten konntest.Und sie könnte auch ausreichen dir zu helfen beim Orakel das Richtige zu tun.«
Langsam atmete ich aus. »Ich möchte dir glauben. Wirklich.«
Schritt um Schritt drangen wir tiefer in die Höhle hinein. Allmählich bog der Gang nach links, dann wurde er weiter und höher.
Als wir um die Biegung waren, wölbte sich die Decke plötzlich hoch über unseren Köpfen. Glitzernde Steinwände bogen sich ihr
entgegen. Das Licht in diesem riesigen Raum leuchtete sehr hell und spiegelte sich in den Kristallen. Seinen Ursprung konnte
ich immer noch nicht entdecken.
Plötzlich verstand ich. Die Kristalle selbst waren es! Sie funkelten und strahlten mit eigenem silbrigen Licht.
Direkt gegenüber von uns hing ein
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