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Merlin und die Fluegel der Freiheit

Merlin und die Fluegel der Freiheit

Titel: Merlin und die Fluegel der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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gewaltigen Beine losgetreten hatten. Die Erde bebte
     unter uns, aber ich kam mir nie gefährdet vor, weil meine Hirschbeine sich mühelos beugten und streckten und als Verlängerung
     meines Körpers das Land berührten. Wieder einmal stellte ich fest, wie lebendig die Druma war, als würde sie sich weigern
     den Wintereinbruch zu akzeptieren. Selbst inmitten kahler Zweige blühten bunte Moose; zwischen Eisschollen floss frisches
     Wasser. Im Laufen hörte ich die schwirrenden Flügel einer Libelle, roch einen duftenden Farn und spürte die verborgenen Gänge
     unter der Erde, wo kleine Tiere ihre Höhlengruben und uralte Wurzeln so sicher standen wie seit Jahrhunderten.
    Wir kamen in eine Lichtung, die feucht vom Sprühnebel eines Wasserlaufs war. Shims nackte Füße, mit krausem Haar bedeckt,
     hielten an. Hallia und ich wurden langsamer, fielen zuerst in Trab, dann in Schritt. Unsere Rücken wurden schmäler und hoben
     sich; unsere Kinne zogen sich zurück. Wir gingen wieder auf zwei Beinen.
    Vor uns fiel die Lichtung steil ab und bildete eine Klippe über einem laut plätschernden Bach. Dort, am Rande der Klippe,
     stand Rhia. Sie schien in tiefe Konzentration versunken, hatte kaum einen Blick für den Riesen, der über ihr aufragte, und
     schenkte den beiden Menschen an seinen Knöcheln überhaupt keine Beachtung. Es sah aus, als würde sie, wie Shim gesagt hatte,
     einen ziemlich großen Vogel auf dem Rücken tragen. Dann erkannte ich, dass es kein Vogel war.
    Es waren Flügel! Sie bestanden aus den breiten, rötlich braunen Blättern des Fettkrauts, die in einen Rahmen aus biegsamen
     Weidenschösslingen gespannt waren. Offensichtlich steckte eine Menge Arbeit darin. Wie kunstvoll sie gefertigt waren, zeigte
     sich auch an den gekräuselten Flechtenstreifen, die wie farbenfrohe Flaggen von den äußeren Rändern hingen. Im Moment war
     Rhia damit beschäftigt, sich das Ding auf den Rücken zu binden; sie benutzte dazu einige der leuchtend grünen Ranken, mit
     denen ihr Gewand zusammengenäht war.
    Ich schüttelte den Kopf. Wie viele Tage (oder Wochen) hatte Rhia damit verbracht, den Apparat zu bauen? Zweifellos hatte sie
     zu seiner Erprobung diese Klippe sorgfältig ausgewählt und ihn in der Nähe aufbewahrt, solange sie daran arbeitete. Und vielleicht
     hätte sie ihn gestern eingeweiht,wenn sie nicht so viel Zeit mit der Zubereitung unseres Abendessens verbracht hätte.
    Bis auf das ständige Brausen von Shims Atemzügen verhielten wir uns still, während wir sie beobachteten. Wusste sie wirklich,
     worauf sie sich einließ? Aber es hatte keinen Sinn, sie zurückhalten zu wollen. Sie war schließlich Rhia.
    Mit vorgerecktem Kinn trat sie von der Klippe zurück. Scullyrumpus huschte inzwischen wichtigtuerisch ihr Bein hinunter und
     setzte sich an den Rand des Abgrunds. Als Rhia stehen blieb, band sie rasch den Feuerball von ihrem Gürtel und legte ihn ins
     Gras. Dann stand sie gespannt da, ihre Augen glühten vor Entschlossenheit. Langsam breitete sie die Arme aus und entfaltete
     damit die Flügel. Die Flechtenbänder flatterten in der Brise.
    Scullyrumpus schaute hinter sich auf die sprudelnden Wasser in der Tiefe, seine Ohren standen aufrecht. Plötzlich winkte er
     mit den Pfoten. »Los, fliegflieg! Los, fliegflieg!«
    Rhia neigte sich vor. Sie rannte und schlug mit den Flügeln, die laut rauschten. Als sie die Kante erreicht hatte, sprang
     sie hoch und schwebte in wunderbarer Freiheit über dem Bach, ihre Flügel glitten durch die Luft. Sie flog! Glücklich stieß
     sie einen Jubelschrei aus und ruderte wieder mit den Armen – da platzte plötzlich in einem Flügel ein Loch auf. Mehrere Weidenschößlinge
     brachen los und zerrissen das Blättergewebe. Mitten in der Luft torkelte Rhia wild auf eine Seite und stürzte ab, sie verschwand
     hinter der Klippe. Scullyrumpus sprang kreischend auf und ab.
    »Rhia!«, riefen Hallia und ich gleichzeitig. Wir rannten zu der Stelle, wo sie verschwunden war. Scullyrumpus spähte mit gerunzelter
     Stirn über den Rand.
    Unter uns lag in einem Tümpel an einer Biegung desBachs ein wirrer Haufen Blätter, Stöcke und Ranken. Mehrere zerrissene Krautblätter schwebten durch die Luft und sanken auf
     die anderen. Sofort kletterte ich den steilen Damm hinunter, gefolgt von meinem Schatten, der wild die Arme schwenkte. Dann
     fiel ein sehr viel größerer Schatten auf uns. Shim streckte die große Hand hinunter. Mit überraschender Behutsamkeit ergriff
     er die

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