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Merlin und die Fluegel der Freiheit

Merlin und die Fluegel der Freiheit

Titel: Merlin und die Fluegel der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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Rhita
     Gawrs Atem war ein anderer Wind, der unser beider Gedanken durcheinander wirbelte.
    Wie üblich ließ meine rankenbekleidete Schwester mich weit hinter sich, während sie über umgestürzte Bäume sprang und glatt
     gefrorene Hänge hinaufstürmte. Oben auf jedem Hügel wartete sie, bis ich sie eingeholt hatte, ihr Gesicht war ungewohnt verbissen.
     Scullyrumpus auf ihrer Schulter beobachtete mich missbilligend, während ich schwer keuchend hinter ihnen herkletterte und
     weiße Atemwolken ausstieß. Obwohl Rhia kein Wort sagte, wusste ich, dass sie jetzt mehr denn je wünschte, sie könne wirklich
     fliegen – genau wie ich wünschte, ich würde die Kunst des Springens beherrschen. Warum musste dieser besondere Zauber so schwierig
     sein?
    Die Temperatur fiel, als wir ans Ufer des unaufhörlichen Flusses kamen. Schwarze Wolken zogen über uns und schickten ein paar
     Schneeflocken herunter, die unsere Rücken und Schultern überpuderten oder im Wasser versanken. Rhia stapfte sofort in den
     reißenden Fluss und ich folgte. Die stete Strömung hob meine Stiefel, als wollte sie mich antreiben. Aber das dauerte nicht
     lange. Sobald ichdas andere Ufer erreicht hatte, klatschten die triefenden Stiefel auf den Boden und fühlten sich schwerer an als je zuvor.
    Als wir das Dorf Caer Aranon erreichten, überzog der Sonnenuntergang den Himmel wie Blut, das durch ein Tuch sickert. Das
     Dorftor und der kahle Baum daneben nahmen die gleiche rotbraune Farbe an, während eine einsame Drossel, runder als ein Kürbis,
     uns vom niedrigsten Ast eines Baums aus beobachtete. Hinter dem Tor stand eine Anzahl quadratischer Hütten aus Lehmziegeln
     und dicht verflochtenem Stroh. Alle waren schief, aber jede neigte sich in eine andere Richtung wie eine Versammlung Betrunkener.
     Auf einer saß ein Hahn; zwei oder drei dürre Ziegen liefen herum. Alles in allem erinnerte es mich an das erbärmliche Dorf
     in Britannien, wo ich einen so großen Teil meiner Kindheit verbracht – und mein Augenlicht für immer verloren hatte.
    Zwei Dutzend Menschen jeden Alters scharten sich um ein Podium aus unebenen Brettern auf dem schmutzigen Platz zwischen den
     Hütten. Das war zweifellos das Theater. Und diese kleine Menschenmenge war vielleicht gekommen, um Cairprés Lesung zu lauschen.
     Der Mann konnte Gedichte lesen wie kein anderer, den ich je gehört hatte.
    Auf einer Seite der Bühne stand eine Fahnenstange mit einer Flagge, die das Bild eines schwarzen Federkiels trug. Am Fuß der
     Stange lag ein Stapel alter Gewänder neben einer zerfledderten Perücke und ein paar grob geschnitzten Masken. Auf der anderen
     Seite ragten die Bühnenbretter ins Nichts, als wäre den Zimmerleuten das Holz ausgegangen, bevor sie eine Art Geländer bauen
     konnten. In der Nähe war zwischen zwei Pfählen ein braunes Tuch gespannt,hinter dem bei einer Aufführung die Schauspieler das Kostüm wechseln (oder sich vielleicht vor Wurfgeschossen verstecken)
     konnten.
    »Hübscher Ortenort«, piepste Scullyrumpus. Er schüttelte den Kopf, so dass ihm die langen Ohren auf die Wangen klatschten.
     »Was sie hier brauchen, ist eine ordentliche Überschwemmung, klaroklar, keine Bühne.«
    »Still, Scully«, befahl Rhia streng. »Wir kommen bald genug wieder in unseren Wald.«
    »Versprochen, bestimmtestimmt?«
    »Still, habe ich gesagt. Merlin, siehst du Mutter in dieser Menge?«
    »Noch nicht. Lass uns . . .«
    Ich unterbrach mich, als lautes Wiehern über den Platz hallte. Ein großes schwarzes Pferd mit schimmerndem breitem Rücken
     trottete auf uns zu.
    »Ionn!«, rief ich und streckte die Arme aus, um den Hengst zu begrüßen, der mich von Kindheit an so oft getragen hatte. Zu
     Rhia sagte ich: »Mutter muss hier sein. Vor Wochen hat sie mich gefragt, ob sie Ionn auf ihren Reisen mit Cairpré reiten könnte.«
    Das Pferd kam näher, es zermalmte den Schmutz unter seinen Hufen. Ich streckte die Hand aus, um seine Nüstern zu reiben und
     seinen warmen Atem zu spüren. Aber es wandte sich jäh ab. Statt mich zu beschnuppern wieherte es schrill.
    »Da stimmt etwas nicht«, erklärte Rhia.
    Ich gab ihr Recht. »Ganz und gar nicht. Ionn, bring uns zu unserer Mutter.«
    Der Hengst warf die Mähne zurück und trottete zu der Menschenmenge am Theater. Es war schwierig durchzukommen, weil jeder
     offenbar näher zur Bühne wollte. Alsich das klatschsüchtige Geflüster der Leute hörte, wurde mir klar, dass sie nicht zu irgendeiner Aufführung wollten. Nein,
    

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