Merlin und die Fluegel der Freiheit
bei allen Geistern, wirst du nicht entkommen.«
»Du bist es, der nicht entkommen wird«, rief ich zurück und stieß meinen Stock in den Sand. Meine Gedanken rasten, während
ich zu dem Töter hinaufsah. Er war hier! Irgendwie musste er meinen Plan entdeckt haben – und jetzt war dieser Plan zerstört.
Nein, schlimmer! Jetzt, wo alle Kinder an einem Ort versammelt waren, befanden sie sich in weitaus größerer Gefahr als zuvor.
Ich hatte diesem Wahnsinnigen einen Gefallen getan. Und ich konnte ihn unmöglich ausschalten, wenn er alle meine Magie gegen
mich verwendete.
»Komm und beweise deine mutigen Worte«, rief er. »Komm herauf und kämpfe bis zum Tod.«
Neben mir verkroch sich Lleu in den Armen meiner Mutter. Er zitterte am ganzen Leib, sein Gesicht war weiß. Er gab das drängende,
herzzerreißende Wimmern eines in die Enge getriebenen Tieres von sich.
Weiter unten am Strand und im flachen Wasser hörtenKinder auf in Flutlachen zu plantschen, im Sand zu bauen, bunte Muscheln zu sammeln oder am Rand von Shims Hut zu schaukeln.
Alle drehten sie sich um, weil sie wissen wollten, was los war. Einige erstarrten, als sie den schrecklichen Krieger mit der
Schädelmaske sahen, und standen so steif wie Rankenfußkrebse auf meerbespritzten Steinen. Andere liefen davon, wobei sie feuchten
Sand in alle Richtungen kickten. Ein paar flohen sogar in die wabernde Nebelwand, die das Ufer säumte und das Meer dahinter
verbarg.
»Nun?«, brüllte mein Feind. »Hast du nicht mehr Mut als dieser kreischende Junge neben dir?«
Shim stieß ein donnerndes Knurren aus. Er stand auf und trat mit seiner massigen Gestalt vor die Sonne. »Du sein der ohne
Mut«, bellte er mit einer Stimme, die das restliche Laub von einer Linde am Fuß der Düne wehte. »Ich werden dich zerdrücken
wie einen winzigen Käfer.«
»Nein, warte.« Ich hob meinen Stock. »Er hat eine sonderbare Magie, Shim. Mächtig und sonderbar. Überlass ihn mir – während
du die Kinder einsammelst. Bring sie alle in Sicherheit, egal wie.«
»Nein, Merlin«, bat meine Mutter. »Kämpfe nicht mit ihm.«
»Ich muss. Jetzt geht, alle beide! Holt die Kinder.«
Der Riese machte ein finsteres Gesicht. »Ich hoffen sehr, du wissen, was du machen, Merlin.«
»Ich auch«, sagte meine Mutter und verbarg Lleu in den Falten ihres Gewands.
Ich winkte ihnen zu gehen und rief dem Töter zu: »Du bist ein Feigling!« Ich musste Zeit schinden, damit sie die Kinder sammeln
konnten. »Warum zeigst du nicht dein Gesicht hinter der Maske?«
Er schien zu zögern, dann hob er langsam die Schwertarme über den Kopf. Als entsetzliche Silhouette stand er vor dem Himmel,
Licht glänzte an den Kanten seiner Schwerter. »Für dich, Zaubererzwerg, ist das mein wahres Gesicht. Das Gesicht des Todes.«
Damit stürmte er von der Düne herunter. Mit geschwungenen Schwertern lief er direkt auf mich zu und fluchte, als seine Stiefel
sich in den Sand gruben. Jetzt hatte ich keine Wahl, ich musste gegen ihn kämpfen. In wenigen Sekunden würde er bei mir sein.
Aber wie kämpfen? Alle meine Tricks würden gegen mich gewendet. Dann kam mir plötzlich eine Idee. Wenn ich darauf verzichtete,
Magie zu gebrauchen, dann konnte er meine Fähigkeiten nicht gegen mich richten! Doch . . . das bedeutete, ich musste mich
allein auf rohe Gewalt verlassen. Und das war ein Kampf, den er bestimmt gewinnen würde.
Gerade bevor er mich erreichte, warf ich meinen Stock zur Seite und stürzte mich auf seine Beine. Durch die Wucht des Anpralls
fiel er auf mich. Wir rollten beide zum Strand hinunter, wobei wir Sand in die Luft schleuderten.
Kaum war ich wieder auf den Beinen, stand er ebenfalls. Brüllend wie ein gereizter Keiler kam er mit geschwungenen Schwertern
auf mich zu. Statt meine eigene Klinge zu ziehen, wartete ich bis zur letzten Sekunde, dann trat ich zur Seite. Der Töter
schoss an mir vorbei und rollte in eine Flutlache. Meerwasser, Tang und Möwenfedern spritzten hoch und trafen uns beide. Er
stand wieder auf, stolperte und landete auf einer großen orangen Muschelschale, die unter seinem Gewicht zersplitterte.
Sofort griff er mich wieder an. Mit einem Schwall von Flüchen schwang er seine Klingen und verfehlte knappmeine Brust, als ich scheinbar in eine Richtung, tatsächlich aber in die andere auswich. Keuchend stand ich ihm wieder gegenüber.
Früher oder später würde eines seiner Schwerter bestimmt sein Ziel treffen. Ich schaute über die Schulter
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