Merlin und die Fluegel der Freiheit
nach Shim, der weit
unten am Strand alle Kinder hinter die Dünen trieb. Seine polternden Schritte und die Kinderschreie entfernten sich rasch.
Bald würden wenigstens sie außer Gefahr sein.
Wieder ging der Töter auf mich los, seine grässlichen Arme zischten durch die Luft. Wieder entwischte ich, indem ich zur Seite
sprang und einen Purzelbaum im Sand machte. Doch als ich diesmal aufstand und mich ihm zuwandte, griff er nicht an.
»Du fürchtest dich sogar noch mehr als in meiner Erinnerung«, knurrte er keuchend. »Warum läufst du weg? Keine Magie mehr?«
»Genug«, antwortete ich und umkreiste ihn langsam am Strand. »Ich brauche sie nur nicht, um mit dir zu kämpfen.«
»Dann kämpfe, du Welpe!«
Er stürzte sich wieder auf mich. Doch gerade als ich auswich, blieb er stehen. Auch ich versuchte anzuhalten – doch mein Fuß
verfing sich in einem gewundenen Stück Treibholz. Ich fiel auf den nassen Sand und rollte auf den Rücken. Direkt über mir
stand der Töter und lachte befriedigt. Hinter ihm ragte eine steile Düne vom Strand auf wie eine Klippe und warf einen dunklen
Schatten auf uns beide.
»Jetzt ist keine Zeit mehr zum Kämpfen, du Zaubererzwerg.« Er hob beide Klingen, bereit mich aufzuspießen. »Nur zum Sterben.«
Er stellte sich breitbeinig hin. Ich sah, wie die Muskeln sich unter seinem Brustpanzer spannten. Die Schwerterwaren aufgerichtet, ihre grausamen Klingen blitzten in der Sonne.
»Nein!«, rief eine andere Stimme. Elen! Sie warf sich auf den Sand zwischen uns zu Füßen des Töters, hob den Kopf und schaute
ihn furchtlos an. »Wage es nicht, meinem Sohn etwas zu tun.«
Der Töter lachte. »Erst nachdem ich mich mit dir befasst habe, Frau!« Leise fügte er hinzu: »Das passt hervorragend.«
Er wollte mit den Schwertern zuschlagen. Hell wie Lichtstrahlen leuchteten sie vor der dunkleren Düne hinter ihm. In diesem
kurzen Moment wusste ich, dass ich keine Wahl hatte: Ich musste meine magischen Kräfte zu Hilfe rufen. Keine andere Möglichkeit,
ihn aufzuhalten! Aber ich wusste auch, dass jede Magie gegen mich gewendet würde – oder schlimmer, gegen Elen. Meine Gedanken
jagten sich. Es musste einen anderen Weg geben!
Die Schwerter sausten durch die Luft. Ich sah, wie sie auf meine Mutter zukamen. Mein Zorn kochte endlich über und ich wollte
gerade einen Feuerball in meine Hand zaubern.
Da sprang die undeutliche Gestalt eines Mannes die Düne herunter. Mit einem Schrei warf sich der Mann mit dem Kapuzenumhang
auf den Töter und schlug ihn zu Boden. Brüllend vor Wut schlug der Töter zu und traf den Angreifer mit seinen Schwertern.
In brutaler Raserei schlitzte er den Mann an Brust, Armen und Beinen auf. Blut bespritzte den Strand.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. Ich schaute auf und sah den riesigen Shim von hinten über die Düne stapfen. Sein nackter
Fuß knallte herunter auf den Sand. Bevor der Töter etwas tun konnte, griff die mächtige Hand herunter,packte ihn in der Mitte und drückte ihm die mörderischen Klingen in die Seiten. Obwohl der Krieger so heftig versuchte sich
zu befreien, dass seine Rüstung gleich zu bersten schien, konnte er sich nicht rühren. Shim hob ihn höher und funkelte ihn
aus seinen enormen Augen an. Dann brüllte der Koloss vor Wut so gewaltig, dass die große Nebelwand zitterte, sich lichtete
und vom Ufer zurückzog. Shim holte aus und schleuderte den Krieger direkt durch den Nebel und weit hinaus ins Meer – so weit,
dass wir kein Aufklatschen hörten.
Die massige Gestalt beugte sich über mich. »Sein alles bei dir in Ordnung, Merlin?«
»Dank dir, alter Freund.« Ich kam auf die Beine. »Du und . . .«
Ich beendete den Satz nicht. Ich sah, wie Elen mit dem Rücken zu mir über der heldenhaften Gestalt kniete. Obwohl sie das
Gesicht des Mannes verdeckte, erkannte ich den Umhang. Er gehörte Cairpré! Bei dem Anblick drehte sich mir der Magen um. Cairpré,
mein Mentor, mein Freund – lag da auf dem Sand und starb.
Ich stolperte zu meiner Mutter, die seine Hand hielt und leise schluchzte. Dann wurde mir eiskalt ums Herz. Die Kapuze des
Umhangs war zurückgefallen und hatte das Gesicht des Mannes freigegeben. Es war nicht Cairpré! Statt der Züge, die ich so
gut kannte, sah ich einen dichten schwarzen Bart, ein vorspringendes Kinn und Augen, so dunkel wie meine. Nein, es gab keinen
Zweifel. Stangmar war es.
Obwohl Blut aus seiner Brust sickerte und den Sand befleckte, hob er ein wenig
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