Merlin - Wie alles begann
sagte er: »Du kannst sie gern haben, aber von dieser Sorte, der Larkon, hast du noch keine gegessen.«
Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
»Sie wachsen nirgendwo sonst in Fincayra«, erklärte der Gärtner ernst. »Vor Jahren, lange bevor du geboren wurdest, standen
Larkonbäume überall auf den Hügeln östlich des unaufhörlichen Flusses. Aber sie sind dem Verderben erlegen, das den Rest unseres
Landes befallen hat. Alle außer diesem.«
Ich biss in die Frucht. Der Geschmack explodierte wie purpurfarbener Sonnenschein in meinem Mund. »Es gibt einen anderen Ort,
wo diese Frucht noch wächst, und dort habe ich sie zuvor gegessen.«
Wie aus einem Mund fragten T’eilean und Garlatha: »Wo?«
»Im Drumawald beim Shomorrabaum.«
»Der Shomorrabaum?«, fragte Garlatha erregt. »Du bist dort gewesen, beim seltensten aller Bäume?«
»Eine Freundin, die ihn gut kennt, hat mich hingebracht.«
T’eilean strich seinen dünnen Bart. »Wenn das stimmt, hast du eine bemerkenswerte Freundin.«
Beklommen sagte ich: »Ja, ich weiß.«
Eine leichte Brise bewegte den Zweig über mir und raschelte im Laub. Ich horchte einen Augenblick. Ich fühlte mich wie ein
Mann, der nach Tagen ohne Wasser endlich einen Bach plätschern hört. Plötzlich streckte sich Shim und riss mir die Frucht
aus der Hand. Bevor ich protestieren konnte, hatte er schon zweimal hineingebissen.
Ich schaute ihn wütend an. »Weißt du nicht, wie man bittet?«
»Mammppff«,
machte der kleine Riese mit vollem Mund.
Garlathas Augen funkelten belustigt. Zu ihrem Mannsagte sie: »Offenbar bin ich nicht die Einzige ohne Manieren.«
»Du hast Recht«, antwortete er und hinkte ein paar Schritte weg, bevor er ebenso belustigt ergänzte: »Wie immer.«
Garlatha lachte. Sie streckte den kräftigen Arm, pflückte eine weitere Frucht vom Ast und gab sie mir. »Hier. Du kannst noch
mal von vorn anfangen.«
»Du bist sehr großzügig, besonders wenn das der letzte Baum seiner Art im Osten der Druma ist.« Ich sog den würzigen Duft
der Larkon ein, dann biss ich zu. Wieder breitete sich der sonnige Geschmack auf meiner Zunge aus. Ich genoss ihn und fragte:
»Wie hat euer Garten inmitten dieser Verwüstung überlebt? Es ist ein Wunder.«
Die beiden Alten wechselten Blicke.
T’eilean sagte bitter: »Kein größeres Wunder als dieses ganze Land einst war. Aber unser niederträchtiger König hat alles
verändert.«
»Das zu sehen hat uns das Herz gebrochen«, sagte Garlatha mit schwacher Stimme.
»Stangmars Nebel sperrt die Sonne aus«, fuhr der Alte fort. »Und das mit jedem Monat mehr. Denn während das verhüllte Schloss
an Macht gewinnt, wird der Himmel immer dunkler. Inzwischen haben Stangmars Soldaten den Tod übers Land gesät. Ganze Ortschaften
wurden zerstört. Menschen sind in die Berge weit im Westen geflohen oder haben Fincayra ganz verlassen. Auf diesen Hügeln
nach Osten zu stand einst ein großer Wald, so wunderbar wie der Drumawald. Das ist vorbei! Die Bäume, die nicht gefällt oder
verbrannt wurden, haben sich in den Schlaf zurückgezogen und werden nie mehrsprechen. Hier in der Ebene hat die Erde, die nicht mit Blut getränkt wurde, doch seine Farbe angenommen. Und die blühende
Harfe, die das Land vielleicht wieder ins Leben zurücklocken könnte, ist uns gestohlen worden.«
Er schaute auf seine abgearbeiteten Hände hinunter. »Ich habe die Harfe nur einmal getragen, als ich noch ein Junge war. Aber
nach all den Jahren kann ich immer noch nicht vergessen, wie sich ihre Saiten anfühlten. Und wie mich ihre Melodie erregte.«
Er machte ein finsteres Gesicht. »Das alles und mehr ist verloren.« Er deutete auf die Senke im Hügel hinter der Hütte. »Seht
nur unsere einst so muntere Quelle! Kaum noch ein Rinnsal. Während das Land verdorrte, versiegte das Wasser, das es genährt
hat. Den halben Tag verbringe ich jetzt damit, Wasser von weit her zu schleppen.«
Garlatha griff nach seiner Hand. »Und ich suche unterdessen in der trockenen Prärie nach Samen, die noch wieder belebt werden
könnten.«
Linkisch bot ihr Shim die Reste seiner Frucht an. »Ich sein traurig für euch.«
Garlatha tätschelte seinen struppigen Kopf. »Behalte die Frucht. Und sei nicht traurig unseretwegen. Wir sind viel glücklicher
als die meisten.«
»Das stimmt.« Ihr Mann nickte. »Uns wurde ein langes gemeinsames Leben geschenkt und die Möglichkeit, ein paar Bäume zu pflanzen.
Das ist alles, was man sich wünschen
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