Merlins Drache 01 - Basilgarrad
Fällen über der Menge schwebten oder dahinglitten.
Alle möglichen Leute sind hier,
dachte er aufgeregt.
Von jeder Größe, Gestalt und Farbe. Jeder nur möglichen Beschreibung.
Er hielt inne und schluckte.
Aber ist da jemand – irgendjemand –, der aussieht wie ich?
Er schwebte näher und sah plötzlich ein einsames Geschöpf, das den beschneiten Hang heraufkam – der Anblick nahm ihm den Atem. Das saphirblaue Einhorn! Es schien den Hang heraufzufließen, so unangestrengt wie der Wind bewegte es sich. Die mächtigen Muskeln wölbten sich, als es zum Gipfel sprang und dabei mit den Hufen Wolken von Schnee aufwirbelte. Das spiralförmige Horn strahlte wie das Fell ein Blau aus, das tiefer war als die Farbe von Hallias Kleid. Dieses Blau funkelte, als wäre es lebendig. Ein Hochzeitsgast nach dem anderen drehte sich um und beobachtete die Ankunft des Einhorns. Die Leute wussten wie Basil, dass es in ganz Avalon das Einzige seiner Art war – das Geschöpf, das die Barden besangen als
die flüchtigste Schönheit aller Länder.
Im Näherkommen sah Basil zwei Frauen, die auf das Hochzeitspaar zugingen. Die ältere, deren lose blonde Haare glänzten wie Sterne, trug ein silbriges Gewand, das bei jeder Bewegung schimmerte.
Das ist die Hohepriesterin Elen, Merlins Mutter,
erkannte Basil. Von ihrem ganz aus Spinnenseide gewebten Gewand hatte er zwar schon gehört, doch es war noch viel schöner als in seiner Vorstellung. Wenn Elen sich bewegte, schien das Gewand aus Lichtstrahlen zu bestehen, mehr Luft als Material zu sein.
Die andere Frau erkannte Basil ebenfalls: Rhia, Merlins Schwester, in ihrem berühmten Anzug aus gewebten Ranken. Was hatte er von ihr gehört? Dass sie in einem umfangreichen Eichbaum aufgewachsen war. Und tatsächlich, sie bewegte sich wie Zweige im Wind, ihre Füße hinterließen kaum Spuren im Schnee. Um Kopf und Schultern flogen Dutzende von Leuchtfliegen, deren kleine Flügel so hell funkelten, dass sie aussahen wie schwebende Kerzenflammen. Und auf ihrem Rücken lagen schöne durchsichtige Flügel – ein Geschenk, hieß es, vom großen Geist Dagda selbst. Während Basil tiefer glitt, betrachtete er ehrfürchtig Rhia – ihre Kleidung, ihre Flügel, und vor allem ihr strahlendes Gesicht, das noch heller schien als die Leuchtfliegen.
Ich kann nicht glauben, dass ich hier bin,
sagte sich Basil.
Diese Leute … diesen Ort … diese Versammlung zu sehen – das kann nicht wirklich sein!
Doch Rhias glockenhelles Lachen, mit dem sie ihren Bruder umarmte, verscheuchte jeden Zweifel. Keinnur eingebildetes Lachen konnte so viel Freude ausstrahlen.
Dann fing Basil einen anderen Ton auf. Direkt unter ihm stieß eine alte Eule ihren tiefen, weithin schallenden Ruf aus. Auch wenn ihr viele Federn fehlten, konnte die alte Eule immer noch so laut rufen, dass es den silbrigen Hengst ängstigte, auf dessen Rücken sie saß, und dass es die nahe Familie von Eiderenten erschreckte. Das Pferd wieherte und schlug mit dem Schwanz, während die Gänse schrien und empört aufflatterten.
Im Gegensatz dazu schien ein golden gefiederter Phönix, der auf einem zerklüfteten Stein neben ihnen saß, gar nichts zu bemerken. Er schaute weiter ohne Blinzeln zu Merlin und Hallia hinüber. Selbst als er von den gespreizten Wurzeln einer großen Gestalt voller Äste fast getreten wurde – ein Baumgeist, nahm Basil an –, reagierte der Phönix noch nicht einmal mit einem Wimpernschlag.
Basil umkreiste den Hügel und hielt Ausschau nach einem Platz, an dem er landen und unauffällig bleiben konnte. Inzwischen suchte er unten auch jemanden, der ihm glich, der helfen könnte, das Geheimnis seiner Herkunft aufzuklären. Während er auf das anschwellende Gemurmel der Menge horchte – auf all das Wiehern, Bellen, Knurren, Singen, Plaudern, Zischen und Summen –, konnte er sich nur fragen, ob er irgendwann heute eine Stimme hören würde, die ähnlich klang wie seine eigene.
Er sah, wie die letzten Gäste eintrafen. Zwei Geier mit zerrupften Flügeln erschreckten ihn – sie erinnerten an Klauenkondore –, doch er sah erleichtert, dass sie sich friedlich auf dem Rücken eines Elefanten niederließen. Eine Gruppe Gnome kämpfte sich den hellen, schneebedeckten Hang herauf, ein ganz anderes Gelände als ihre dunklen unterirdischen Tunnel, dann gehorchten die Kleinen widerwillig dem Kommando eines Zentauren und legten ihre Waffen auf einen Haufen fern von anderen Gästen ab. Doch nirgendwo sah Basil die
Weitere Kostenlose Bücher