Merlins Drache 01 - Basilgarrad
auf einem Moosbett aufgesprungen war, hatte ihn eine warme Brise umweht – voller Zimtduft und Freundschaft. Könnte sie vielleicht hier sein? Könnte sie ihn noch einmal finden?
Basil hüpfte zur obersten Kante des Felsens. Er streckte den Hals und hob den kleinen Kopf zum Himmel. Dann erinnerte er sich – eine Sekunde lang – an die Gefahr, als Eindringling gefasst zu werden. Mit einem herzhaften Schütteln vertrieb er die Sorge. Seine erste Freundin könnte hier sein! Und er rief:
»Aylah, bist du irgendwo in der Nähe? Komm,finde mich, Windschwester! Komm, finde mich wieder.«
Eine kalte Brise blies über den Berggipfel. Aber sie brachte keine Antwort.
»Rufe, wie du willst«, flüsterte eine Stimme direkt hinter ihm. »Doch nicht erwarten solltest du eine Antwort.«
12
Geheimnisvolles Tier
Hier ist die harte Wahrheit, ungeschminkt von mir:
Um zu wissen, wer du bist, ist es weniger wichtig, zu wissen, wer du warst, als zu entscheiden, wer du sein wirst.
B eim Warten sah Basil ein gewaltiges Geschöpf, das über den Felsklotz ragte. Noch nie hatte er so etwas gesehen. Das Wesen mit der wispernden Stimme, die entschieden weiblich klang, war zweimal so groß wie Merlin. Als es den runden Kopf tiefer senkte, musterten die tief liegenden Augen, so braun wie der übrige Körper, Basil eingehend. Dabei fuhren vier schlanke Arme, jeder mit drei langen Fingern, durch die Luft, als würden sie unsichtbare Saiten zupfen und eine Art stille Musik machen.
»Wer – wer bist du?«, fragte Basil und breitete die Flügel aus, damit er jederzeit fortfliegen konnte.
»Aelonnia von Isenwy bin ich, eine Lehmbildnerin aus Malóch.« Ihr hallendes Flüstern schien Basils Nerven zu beruhigen. Er spürte, wie er sich bei ihren Worten entspannte. Nur für alle Fälle spannte er dieFlügel weit, bereit, im nächsten Moment davonzufliegen.
Ihre tiefbraunen Augen betrachteten ihn so intensiv, dass er sich fragte, ob sie seine Gedanken lesen könnte. Nervös schlug er mit dem Schwanz auf den Steinklotz und schickte eine Schneewolke hoch. Dieser Blick wandte sich nicht ab und machte ihn immer nervöser. Die Spannung wuchs – bis die Lehmbildnerin endlich wieder sprach.
»Deinen Namen kenne ich nicht, Kleiner.« Bei jedem Wort zeichneten ihre geschmeidigen Finger fließende Muster in die Luft. »Doch ein Geheimnis könntest du genannt werden. Ehrlich rede ich! Viele Geschöpfe habe ich gesehen in meinen Reichen. Doch keins wie du habe ich je getroffen. Sogar möglich ist es, das kein anderes wie du existiert.«
Basil hielt den Atem an. Ein tiefes Frösteln, kälter als der Schnee, lief durch seinen Körper. Wie konnte sie das sagen? Wie konnte sie so sicher sein? Mit einem Schaudern erklärte er: »Ich glaube dir nicht.«
»Vielleicht nicht. Aber fragen tust du dich, das kann ich sehen.« Ihr hallendes Flüstern wurde sanfter. »Sag mir, Kleiner, warum hältst du sie für so wichtig, meine Worte?«
»Weil sie wichtig sind«, platzte er heraus. »Wäre es dir nicht wichtig, wenn du keine Familie hättest? Zu keiner Art gehören würdest? Keine Identität hättest?«
»Eine Identität hast du«, sagte sie und beugte den runden Kopf tiefer. »Aber anders als jede andere ist sie.In Wahrheit muss das so sein – ob andere deiner Art existieren oder nicht.«
Basils Löffelohren zitterten. »Aber was
bin
ich? Wenn es keine anderen gibt wie mich …«
»Dann«, schloss die Lehmbildnerin, »bist du ein geheimnisvolles Tier.«
»So viel weiß ich schon.« Er kicherte halbherzig und zog die Flügel an den Rücken. »Jetzt sag mir – redest du immer mit Leuten über – nun, über was sie … hm, äh, was sie …«
»Wirklich sind?« Ihre Finger streichelten die Luft ganz sanft.
Zögernd nickte Basil.
»Nein, Kleiner. Aber mit dir …« Sie unterbrach sich und legte den kräftigen braunen Kopf schief. »Seltsame Magie sehe ich in deinen Augen. Ja, tatsächlich, seltsame Magie.«
Weil Basil sich bei diesem Gespräch unbehaglich fühlte und er nicht sicher war, was er von diesem großen sehnigen Geschöpf halten sollte, wechselte er das Thema. Ganz schnell.
»Mach dir keine Gedanken darüber«, nachdrücklich trommelte er mit dem Schwanz auf den Stein. »Warum hast du gesagt, was du vorhin gesagt hast? Über Aylah – dass ich von ihr keine Antwort erwarten soll. Was hast du damit gemeint?«
Die Lehmbildnerin seufzte. »Nur dass eine Wishlahaylagon sie ist, eine Windschwester der Luft. Immer unterwegs, nie
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