Merlins Drache 03 - Die Schlacht der endlosen Feuer
hatte er Glück: Das Passwort verlangte keinerlei Magie von dem, der es gesprochen hatte. Alle nötige Magie war von ihrem |181| Hersteller in der Klappe eingelagert worden – von Merlin selbst.
Denn das war Merlins verlorenes Tagebuch, das der Zauberer in seinen letzten Jugendtagen in Fincayra versteckt hatte. Jahrhundertelang hatte es im nebelumhüllten Stamm einer alten Eiche gelegen – eines Baums, den Krystallus für keinen anderen als die berühmte Arbassa hielt. Nach jahrelangem Suchen hatte er den Baum gefunden und dann fast zufällig das alte Buch.
Krystallus atmete langsam ein, dann sagte er leise: »Olo Eopia.«
Bei diesem Passwort – Merlins eigentlichem Namen, den Dagda ihm gegeben hatte, bevor Fincayra sich mit dem Geisterreich vereinte – wurde die Klappe plötzlich steif, als sei sie lebendig geworden. Sofort lösten sich die Lederbänder und die kleine Metallschnalle zwischen ihnen klickte. Die Klappe öffnete sich.
Krystallus lächelte. Es gab ihm ein gutes Gefühl, wenn ihm einmal anscheinend ein bisschen Magie gelungen war. Doch dann verschwand das Lächeln. Er wusste, dieses Gefühl war nur eine Illusion.
Anders als mein Vater. Ich verfüge über keinen Hauch von Magie – und er hat das nie verstanden. Sicher, ich kann magische Objekte wie dieses Buch oder eine verzauberte Landkarte benutzen – aber das kann jeder Idiot. In mir ist keine Magie.
Merlin, da war er sicher, hatte nie darüber nachgedacht, was diese Tatsache für das Leben |182| seines Sohns bedeutete. Wie schwierig sie ihm das Aufwachsen im Schatten des großen Zauberers gemacht hatte.
Er hat sich noch nicht einmal gefragt, wie schwierig es sein muss, dass ich keine eigene Magie habe.
Dennoch hatte der Fund des verlorenen Tagebuchs Krystallus eine neue Perspektive auf seinen Vater gegeben. Als er gelesen hatte, wie der Zauberer Ereignisse beschrieb – von denen viele in der Folklore berühmt geworden waren, Geschichten, die er unzählige Male gehört hatte –, erkannte Krystallus, dass sein Vater mehr als nur eine mächtige Figur von mythischen Proportionen war. Wenigstens in seiner Jugend war er zugleich eine leidenschaftliche und impulsive Person gewesen, die unsicher, verletzlich und sogar zu Tode verängstigt sein konnte. Er war insgesamt nicht nur ein Zauberer, sondern auch ein Mensch.
Nicht viel anders als ich.
Krystallus öffnete das Buch, wobei der Einband schwach knisterte. Die Seiten, mit Goldschnitt und vom Alter zerfetzt, schienen im zitternden Licht der Sterne zu glühen, auch weil sie selbst ein vages Leuchten hatten.
Er hob das geöffnete Buch an die Nase und atmete ein. Der Geruch, etwas wie eine Mischung aus abgetragenem Leder, Pergament und Feuerkohlen, stieg ihm in die Nase. Dieser inzwischen vertraute Duft schien ihn willkommen zu heißen.
|183| Dann blätterte er in dem Buch und suchte die Passage über die Moorghule. Er erkannte dabei, dass dieser Band nicht nur von Merlin erzählte. Er war eigentlich eine Schatztruhe voller Geschichten, Träume und Historien über alle möglichen Geschöpfe und Orte. Viele dieser Geschichten waren nie zuvor erzählt worden. Abgesehen von Serella und dem jungen Elfen Tressimir, denen er das Tagebuch zum Lesen gegeben hatte, wusste niemand außer Krystallus, welche Wunder diese Seiten enthielten.
Gerade bevor er zu der seltsamen Geschichte über die Moorghule kam, fiel sein Blick auf eine Seite, die zusammengefaltet war. Behutsam öffnete er sie und fand eine Passage, die er nie zuvor gelesen hatte. In Merlins Gekrakel, das mehr wie Vogelspuren am Strand als wie eine leserliche Schrift aussah, standen diese Worte:
Seit ich gegen den zauberfressenden Kreelix gekämpft habe, einen Kampf, den ich fast nicht überlebte, frage ich mich, warum ich dazu verflucht wurde, als magisches Geschöpf geboren zu sein. Was erreichen alle diese Kräfte, außer dass sie mich zum Ziel böser Mächte machen, die mich töten oder versklaven wollen? Warum müssen die am meisten Geliebten, meine Mutter, meine Schwester und besonders Hallia, wegen meiner Plage so viel leiden? Ich wünsche mir, ich hätte keine eigene Magie!
Verblüfft blinzelte Krystallus. Hatte er richtig gelesen? Hatte sein Vater in seiner stürmischen Jugend seine Magie tatsächlich einen Fluch und eine Plage |184| genannt? Er konzentrierte sich wieder auf die Stelle und las weiter:
Ich kann nur hoffen, dass das Schicksal mir diese magischen Kräfte aus einem Grund gegeben hat, den ich selbst entdecken
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