Merlins Drache II - Die Große Aufgabe: Roman
Worte ausgekostet – »als der Sohn irgendeines Berühmten?«
Krystallus sah noch grimmiger aus, als hätte er nie die Heiterkeit des Schwimmens gekannt. Dann schwand das Düstere langsam aus seinem Gesicht.Zorn wich einer Idee, die seine Gedanken füllte wie steigende Flut.
»Serella. Vater. Jeder andere, der mich verhöhnt. Euch werde ich es zeigen! Ich werde« – in seinen dunklen Augen leuchtete die Entschlossenheit – »Gegenden und Wege finden, die keiner kennt, noch nicht einmal Dagda. Jeder Gefahr werde ich begegnen. Jedes Rätsel lösen. Und mich unbestreitbar zum größten Entdecker machen, den diese Welt je gekannt hat.«
Langsam hob er den Blick zum Himmel. »Und eines Tages, eines glorreichen Tages, werde ich einen Weg bis zu den Sternen finden.«
Einen zeitlosen Moment starrte Krystallus zum Himmel und spürte die Tiefe dieses Entschlusses. Und dann machte er etwas, das er sehr lange Zeit nicht mehr getan hatte.
Er lächelte.
8
Elixier des Todes
Überraschungen haben etwas Sonderbares, besonders tödliche: Sie warten fast immer auf uns – selbst wenn wir sie nicht erwarten.
W eit, weit fort, in den äußersten Ausläufern von Malóch, rauchte und brodelte ein tödliches Moor. Schon manches Geschöpf war zufällig dort gewandert und hatte einen heftigen, schrecklichen Tod gefunden – von hungrigen Verfolgern zerrissen, um den Verstand gebracht durch die seltsamen Lichter und gespenstischen Geräusche, die durch die stinkenden Nebel drangen, oder von den gefürchteten Moorghulen in den fauligen Wassern ertränkt.
Besonders nachts stank das verhexte Moor – wie es von wandernden Barden treffend genannt wurde – nach Tod. Denn nachts, wenn die erstickenden Rauchschwaden alles verdeckten bis auf den zartesten Lichtschimmer von den Sternen, trieben sich die Moorghule frei herum, unsichtbar schwebten sie über dem modernden Torf und dem brodelndenWasser. Selbst diese Geschöpfe, zum Leben im Moor bestimmt und lieber in den Sümpfen zu Hause als in der trockenen Wüste ringsum, machten sich nachts unsichtbar.
Sonst … starben sie. Langsam, unter Schmerzen, grässlich.
Die Nacht schien hier besonders dunkel. Dunkler als jeder andere Ort in Avalon, außer vielleicht im ewig lichtlosen Reich von Schattenwurzel, das aus irgendeinem geheimnisvollen Grund nie vom Leuchten der Sterne berührt wurde. Doch die Nacht in diesem Moor trug einen besonderen Umhang, aus Fäden von Angst, Trauer und Verzweiflung gewoben. Dieser Umhang sperrte Hoffnung ebenso aus wie Licht, sodass die Nacht noch dunkler als dunkel wurde.
In dieser besonderen Nacht regte sich nichts bis auf die gasförmigen Rauchschwaden, die flackernden Lichter und die stöhnenden Gestalten der Moorghule. Und nichts außer einer Gestalt – einer seltsamen, die vor Jahren in den fernsten und widerlichsten Teil des Moors gelangt war: in eine tiefe zerklüftete Grube, in der die Ghule lange die verwesten Reste ihrer Opfer gestapelt hatten. Diese Grube, seit Jahrzehnten angefüllt mit den Leichen von ertränkten, erschlagenen oder anders grausam des Lebens beraubter Geschöpfe, stank nicht nur nach Tod, sondern nach dem gemeinsamen Schmerz und Entsetzen aller, die gestorben waren.
Tief in dieser Grube bewegte sich die seltsame Gestalt langsam und zielstrebig. Wenn jemand zugeschaut hätte, wäre ihm etwas ganz falsch vorgekommen: Diese Gestalt konnte man tatsächlich
sehen
, sogar in dunkler Nacht.
Wie war das möglich? Nicht weil die Gestalt irgendeine Art Licht ausstrahlte. Nein, ganz im Gegenteil.
Diese Gestalt sandte eine noch tiefere Art Dunkelheit aus. Nicht nur die Dunkelheit der Nacht, nicht das reiche Schwarz, die Farbe von Ebenholz oder Obsidian – es war das absolute
Fehlen
von Licht. Die endgültige Finsternis der Leere.
Die Gestalt gehörte zu einem Wesen, das tatsächlich lebendig war. Weil es dunkler war als alles andere im verhexten Moor, glich es dem Schatten eines Schattens. Einem Spalt in der Nacht. Einem Loch in der Existenz.
Jetzt stand das sehnige Wesen aufrecht auf dem Boden der schrecklichen Todesgrube und schwankte von einer Seite zur anderen. Denn es trank, es berauschte sich an der Substanz, die seinen wachsenden Körper ernährte und seine wachsende Kraft stählte.
Blut? Nein, dieses Wesen hatte es längst aufgegeben, nur Blut zu trinken – obwohl es in seinen früheren Tagen, als es einem einfachen Egel glich, alles Blut aus vielen arglosen Opfern gesaugt hatte. Nicht wenige von ihnen hatten es ahnungslos
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