Merlins Drache II - Die Große Aufgabe: Roman
hell sah es fast aus wie eine Art Flamme. Eine grüne Flamme – die aus den Blumen, dem Nebel und der magischen Luft stieg.
Die Pforte mit ihrem seltsamen Feuer, teils Nebel, teils Licht, war einmalig in ganz Avalon. Keine Flammen anderer Pforten kamen diesen gleich. Und niemand außer Nebelfeen und Sylphen, die bei den Wolkengärten wohnten und über die Blumenhänge schwebten, wusste von ihrer Existenz. Die neblige Pforte blieb ein Geheimnis, von Außenstehenden unentdeckt und von niemandem benutzt.
Bis jetzt.
Das dunstige Feuer prasselte laut und schoss grüne Funken, die hell strahlten, bevor sie zu den saphirgrünen Blumen hinunterfielen. Dort schmolzen sie mit einem wässrigen Zischen. Das Feuer der Pforte fauchte und funkte noch intensiver wie Flammen auf einer siedenden Flüssigkeit.
Plötzlich teilte sich die neblige Pforte und öffnete sich zu einem tiefen grünen Loch. Aus diesem Loch streckte sich etwas – ein langer, schlanker Finger. Es folgten weitere Finger, Knöchel, und langsam kam die Handfläche. Die Hand tastete um sich, sie spürte die Luft außerhalb der Pforte – als würde sie sich vergewissern wollen, dass die Luft wirklich existierte.
Plötzlich griff die Hand vor. Arm, Schulter undKopf schoben sich durch den Vorhang aus Dunst, ein hochgewachsener Mann trat heraus. Er stand auf dem Hang, auf dem die Blumen leuchteten, schaute um sich und nickte.
»Es
gibt
also eine Pforte nach Luftwurzel«, stellte Krystallus fest. Sein markantes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Wie schrecklich enttäuscht wird Serella sein, dass ich sie zuerst fand und nicht sie!«
Er musterte die schimmernde Pforte, er betrachtete sie so genau, wie ein Goldschmiedemeister eine neue Art von Kristall betrachten würde. »Flammen aus Nebel«, sagte er verwundert. »Deshalb reise ich die ganze Zeit – um Orte wie diesen hier zu finden.«
Er schob sich eine Locke, weißer als die meisten Wolken, aus der Stirn, die er gleich darauf runzelte, weil er an jemand anderen dachte – einen Mann, dessen Haar so schwarz wie ein Rabenflügel war. Denn er wusste, dass da ein weiterer Grund für seine ständigen Reisen war – er wollte weg von seinem Vater. Nicht nur weg von dem Mann, auch von seinem Bild, seinem Ruf.
Seinem
Schatten
. Ein Schatten, der sich von einem Ende dieser Welt zum anderen streckte und Krystallus immer berührte, ihn immer verdunkelte. Der Sohn ballte die kräftigen Hände. Würde er je aus diesem Schatten treten? Oder würde er immer, wie die Elfenkönigin Serella gesagt hatte, nur »der Sohn irgendeines Berühmten« sein? War diese Sehnsucht nach dem Reisen nichts anderes als eine Flucht?
Er betrachtete die neblige Pforte und fragte sich, welche Geheimnisse sie barg. Und welche Geheimnisse in ihm waren.
Werde ich je aufhören, Krystallus, Sohn von Merlin zu sein – und Krystallus Eopia, der große Entdecker von Avalon werden?
Der lebhafte grüne Vorhang knatterte und wölbte sich, als würde er ihn einladen. Könnte die Pforte höher in den Baum führen, zu Orten, die niemand je gesehen hatte? Zu Reichen, die noch nicht entdeckt waren? Zu den unerforschten Sternen?
Krystallus kniete sich auf die kompakte Wolke, in seinen Augen spiegelte sich das grüne Licht der Pforte. Er zog das Notizbuch aus der Tunikatasche, tauchte die Feder in die Tinte und zeichnete eine Karte. Diese, anders als jede andere, die er je gezeichnet hatte, zeigte Wolkenmassen, kein Land oder Wasser. Wolkengestalten, die stiegen, fielen, sich vereinten, formten und ständig, direkt vor seinen Augen, verdunsteten. Die Szenerie veränderte sich so schnell, so fließend, dass er nicht nur eine, sondern zwei, drei, schließlich sieben deutliche Versionen zeichnete, von denen jede eine einmalige Ansicht dieses Reichs aus schwankendem Nebel zeigte.
Eines Tages werde ich eine neue Art Karte für dieses Reich schaffen,
schwor er,
eine Karte, die sich ständig wandelt. Ja – genau wie diese Wolken!
Rasch notierte er sich diese Idee (auf der Innenseite des Notizbuchumschlags, wo er bereits viele andere Ideen für neue und bessere Karten hingekritzelthatte). Dann schloss er das Buch mit einem befriedigenden kleinen Knall und steckte es wieder in die Tasche.
Und jetzt,
überlegte er,
wohin gehe ich als Nächstes?
Impulsiv pflückte er sieben Blütenblätter von den saphirgrünen Blumen, die neben ihm wuchsen. Er legte sich die dunstigen Blätter auf die offene Hand und betrachtete sie.
Eins für jedes Wurzelreich. Welches
Weitere Kostenlose Bücher