Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
den Söhnen Kains freie Hand gewähren? Jede Faser seines Körpers wehrte sich gegen diese Vorstellung. Und dennoch: Was blieb ihm anderes übrig, wenn er keine weiteren jungen Leben gefährden wollte?
Sein Blick fiel auf den Bogen, der wie vergessen neben einem Lederköcher an einem Wandhaken hing. Seit Ewigkeiten hatte er den Bogen nicht mehr benutzt; Staub zeichnete sich auf dem Holz der Waffe ab. Morgen stand das Erntefest an. Das Bogenschießen. Paulus.
Die Entehrung !
Ja, Paulus würde seinen Sieg gegen den Dorfherrn zelebrieren wie ein Feldherr, der in einem einzigen Feldzug gleich ein Dutzend fremder Reiche erobert hatte. Wehe den Besiegten!
Mathäus’ Zähne knirschten unheilvoll. Mit stapfenden Schritten ging er auf den Bogen zu, nahm ihn vom Haken, pustete den Staub herunter und zupfte prüfend an der Sehne. Aus dem Köcher nahm er einen Pfeil. Gewappnet mit Bogen und Pfeil trat er an die offene Fensterluke.
Draußen flirrte der Sommer. Myriaden von zirpenden Grillen veranstalteten ein gellendes Konzert.
Dort, am Stamm der knorrigen Eiche: dieses Astloch, kaum größer als ein Handteller ...
Mathäus’ Gesicht erstarrte zu einer Maske der Entschlossenheit.
Die Sehne des Bogens spannte sich. Mathäus visierte das Ziel an.
Endlose Augenblicke verstrichen. Der Dorfherr schien sich in eine Statue verwandelt zu haben, in einen reglosen Krieger.
Dann schwirrte der Pfeil.
Mathäus stieß einen Schrei des Triumphes aus. Das Geschoss war fast gänzlich in dem angepeilten Astloch verschwunden, nur ein Teil des noch zitternden Schaftes ragte heraus.
Die lethargische Stimmung des Dorfherrn war einer plötzlichen Hochstimmung gewichen. Er würde sich diesem vermaledeiten Burgvogt keineswegs geschlagen geben, würde ihm einen harten Kampf liefern. Und auch der ruchlose Kindermörder konnte sich auf etwas gefasst machen. Kein Schurke dieser Welt sollte ihn jemals wieder herausfordern.
Er legte die Waffe beiseite und verließ das Haus. Wenn die Befragungen der Dorfbevölkerung ihn bisher nicht weitergebracht hatten, so musste er eben noch einmal von vorne beginnen.
Dietrichs Augen brauchten eine Weile, um in der Dunkelheit von Sibylles Behausung etwas erkennen zu können. Die alte Hebamme hockte, einem Schatten gleich, hinter ihrem Tischchen und rührte in einer sprudelnden Essenz.
„Wer da?“, fragte sie eher teilnahmslos.
„Ich bin’s, Frau Sibylle. Der Dietrich von der Burg.“
Die Alte hob ihren Kopf und musterte den Eintretenden. „Sehe schon“, murmelte sie, „brauchst mir nichts zu sagen. Du benötigst ein Aphrodisiakum.“
„Aphro... was?“
„Ein Liebesmittel, du Dummkopf. Ich weiß genau, warum es junge Männer zu der alten Sibylle treibt.“ Sie bleckte grinsend den kümmerlichen Rest ihrer Zähne. „Schon gut, kannst es haben, Junge. Bist nicht der Erste, der etwas Anregung braucht.“
„Anregung?“ Dietrich schüttelte heftig den Kopf. „Oh, ich glaube, Ihr versteht mich falsch, Frau Sibylle. Ich ... äh, brauche weiß Gott kein Liebesmittel. Im Gegenteil ...“
„Im Gegenteil? Wie meinst du das?“
„Mit der Liebe läuft es besser, als mir guttut. Ich brauche ein Mittel, das, äh ..., meine Natur ein wenig dämpft. Seit Nächten habe ich nicht mehr geschlafen.“
„So? Dann muss es ein wahres Teufelsweib sein, mit dem du dich vergnügst.“
„Na ja, auch meine Liebste ist ziemlich übernächtigt.“
„Ach, wäre man doch noch einmal jung“, seufzte die Hebamme.
„Morgen, zum Erntefest, wollen wir natürlich ausgeschlafen sein. Doch wie können wir das sein, wenn, äh ...“
„Wenn die Lust der Liebe dich so oft heimsucht, dass es schon zur Plage wird! Ich verstehe schon ...“
„Ein starkes Schlafmittel würde uns sicher mal zur Ruhe bringen.“
„Ein seltsames Anliegen. Aber wenn du’s unbedingt so haben willst ...“ Sie erhob sich schwerfällig und schlurfte zu einem Regal. Mit einigen Lederbeuteln kehrte sie zu ihrem Arbeitsplatz zurück. Die Senkwaage, die sie verwendete, zeugte von ihrer strikten Gewissenhaftigkeit. Sorgsam füllte sie verschiedene Extrakte in ein Säckchen. „So, das sollte dein Ungestüm zügeln und der kommenden Nacht ihren wahren Zweck verleihen.“ Grinsend reichte sie dem Diener das Bereitete. „Ein Extrakt aus Baldrian, Veilchenkraut und Hopfen. Nimm nicht zu viel davon ein, sonst verschläfst du am Ende das Erntefest. Löse zwei Messerspitzen davon in Flüssigkeit auf und nimm es als Trunk ein. Ich wünsche eine gute Nacht.“
Dietrich bedankte
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