Merry Christmas, Holly Wood
nur mit sich selbst beschäftigter, herzloser Mensch geworden. Das begann sie langsam zu begreifen. Und sie hatte auf einmal nicht mehr das Bedürfnis, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Natürlich wollte sie ihre Mom und ihren Dad endlich wieder in die Arme schließen, sich bei ihnen entschuldigen und einiges erklären, wenn es überhaupt eine plausible Erklärung gab, aber das musste ja nicht sofort sein. In diesem Moment schämte sie sich einfach nur, für so ziemlich alles. Was hatte das nur ausgelöst? Es musste Loveland sein.
❆
Sie stapfte Logan hinterher und konnte kaum schritthalten. „Könntest du bitte mal auf mich warten?“
Sie beschloss, alle Höflichkeitsfloskeln hinter sich zu lassen. So, wie er sich ihr gegenüber verhielt, würde sie bestimmt nicht mehr versuchen, einen guten Eindruck vor ihm zu machen. War doch egal, wie sie aussah, dass sie keine Schminke und keine schicken Sachen trug, er hätte sie wahrscheinlich nicht einmal beachtet, wenn sie die Königin von England gewesen wäre.
Er blickte sich kurz nach ihr um, einen Topf in jeder Hand – mit denen er trotzdem noch viel besser voranschritt als sie – und schüttelte nur den Kopf.
„Sag mal, bist du schwul?“, fragte sie.
Er lachte. „Nein. Wie kommst du denn darauf?“
„Na, du siehst gut aus, hast aber dennoch keine Freundin, und du bist so unglaublich abweisend mir gegenüber ...“
„Ja, das bist du wahrscheinlich nicht gewohnt, oder?“
Beleidigt blieb sie stehen und verschränkte die Arme. „Nein, um ehrlich zu sein nicht. Da, wo ich herkomme, reagieren die Männer meist anders auf mich.“
„Und wie, wenn ich fragen darf?“ Er war jetzt auch stehengeblieben.
„Nett? Freundlich? Hilfsbereit?“
„Tut mir leid, wenn ich deinen Ansprüchen nicht entspreche, aber ich stehe halt einfach nicht auf Schickeria-Leute.“
„Schickeria? Du stempelst mich als irgendwas ab, ohne mich überhaupt zu kennen!“
Er sah ihr jetzt direkt in die Augen und sagte leise: „Ich bin mir nicht sicher, ob du dich überhaupt selbst kennst.“
Daraufhin sagte sie gar nichts mehr, denn er hatte es voll auf den Punkt getroffen.
Wortlos stapften sie weiter durch den hohen Schnee. Ihre Beine steckten bis zu den
Knien darin und Holly war dankbar, die dicken Winterstiefel anzuhaben. In ihren eigenen wären ihre Füße höchstwahrscheinlich schon abgestorben.
Sie musste sich eingestehen, dass Logans Worte sie getroffen hatten, tiefer, als sie erwartet hätte.
„So, wir sind da. Dies ist Pearls Haus. Möchtest du mit reinkommen?“
Holly nickte nur wortlos und folgte Logan. Die Tür war nicht verschlossen, er klopfte an und öffnete sie. Er klopfte den Schnee von seinen Stiefeln und trat ein. Drinnen rief er: „Pearl? Ich bin es, Logan Baker. Ich habe hier etwas Eintopf für Sie.“
„Hier, mein Junge, im Wohnzimmer. Komm herein!“
Er sah zu Holly, die nun auch eintrat. Was würde sie hier erwarten? Eine alte, kranke Frau? Sie bogen um eine Ecke und Logan stellte einen der Töpfe auf einer Kommode im Flur ab. Den zweiten brachte er ins Wohnzimmer zu Pearl, die freudig lächelnd in ihrem Sessel saß. Sie hatte eine dicke Decke über den Beinen liegen und strickte. Im Hintergrund lief leise Musik, Holly konnte sehen, dass sie von einem Plattenspieler in der Ecke des Raumes kam. Das Zimmer war klein, jedoch sehr gemütlich. Im Kamin brannte ein winziges Feuer und auf den Regalen und in der Glasvitrine standen viele Fotos und Souvenirs, unter anderem eine kleine Freiheitsstatue.
„Hallo, Logan. Das ist aber lieb von dir, dass du mir etwas zu essen bringst. Bestelle deiner Mutter meinen Dank und fröhliche Weihnachtsgrüße.“
„Sie wird sicher selbst noch mal vorbeikommen und Ihnen frohe Weihnachten wünschen.“
„Wen hast du denn da mitgebracht?“ Ihr Blick war auf Holly gefallen.
„Oh“, er sah sich nach Holly um, die etwas verloren im Türrahmen stand. „Das ist Holly, eine Bekannte von uns.“
„Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Holly“, sagte Pearl. „Nun steh doch aber nicht wie angewurzelt dort drüben, komm her zu mir und leiste mir ein wenig Gesellschaft.“
Holly lächelte die alte, runzelige Frau, die sicher schon an die neunzig war, an, kam auf sie zu und blieb etwa einen Meter vor ihr stehen. „Hallo Pearl, es freut mich auch, Sie kennenzulernen.“
Pearl betrachtete Holly eingehend. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht und sie sagte: „Holly Wood!“
Na
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