Merry Ex-Mas
letzte Mal gesungen hatte, öffnete er die Augen, und da stand sie am Kamin. Hatte er jetzt schon Halluzinationen?
Die Sinnestäuschung begann zu reden. „Das ist ein wunderbares Lied“, sagte sie leise. „Warum hast du nicht das auf YouTube hochgeladen?“
Hätte er das getan, wären sie jetzt wieder ein Paar. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Das war eine Lüge. Er wusste genau, warum er diesen bösen Weihnachtsgruß an seine Exschwiegermutter verfasst hatte. Er war sauer gewesen.
Und unreif.
„Das war gemein von dir.“
Ja, das war es.
Sie öffnete den Mund, als wollte sie noch etwas sagen, überlegte es sich dann aber anscheinend anders, denn sie drehte sich um und wollte das Zimmer verlassen.
„Warte“, bat er sie. „Was wolltest du sagen?“
„Ist das nicht sowieso egal?“
„Nein, überhaupt nicht.“
Sie kniff die Lippen zusammen und musterte ihn. Schließlich fuhr sie doch fort: „Ich weiß, dass ich dich geheiratet habe, Jake, und dass ich dir hätte vertrauen sollen. Ich habe viele dumme Dinge getan. Ich war grundlos eifersüchtig. Und ich weiß, dass ich dich zum Ende hin nicht sonderlich unterstützt habe.“
Das kannst du wohl sagen . Jake hielt jedoch wohlweislich den Mund.
„Aber wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, wärst du bestimmt auch eifersüchtig geworden. Und vielleicht hättest du die gleichen Schlüsse gezogen.“
Da hatte sie nicht ganz unrecht. „Vielleicht“, gab er zu.
„Und du kannst auch Mims keinen Vorwurf machen. Sie hat nur versucht, mir zu helfen.“
So nannte man das also?
Ella biss sich auf die Lippe. „Du willst immer, dass ich mich entscheide – du oder Mims. Weißt du, wie unmöglich das ist? Was hättest du getan, wenn ich dich vor die Entscheidung gestellt hätte: deine Mutter oder ich?“
Jake schnaubte verächtlich. „Das Problem wäre nie aufgetaucht, weil meine Mom dich mag.“ Und meine Mom ist cool, und deine ist eine Zicke . „Wie auch immer, deine Mom wollte dich nie mit mir teilen. Sie hat mich gehasst, und zwar seit ich dich zu unserem Abschlussball eingeladen habe.“
„Nein. Erst seit du mich zum Abschlussball in diesem alten verbeulten Wagen abgeholt hast“, korrigierte Ella ihn. Bei der Erinnerung musste sie widerstrebend lächeln.
Jake grinste. „In dem alten Wagen haben wir ein paar Fahrten unternommen, die ich niemals vergessen werde.“
Ella wurde wieder ernst. „Oh, Jake.“
Im selben Moment klingelte es. Jake fluchte. „Mach nicht auf.“
„Muss ich. Es ist Mims.“
„Sag es nicht, lass mich raten – ihr zwei seid zum Essen verabredet.“ Die böse Hexe aus dem pazifischen Nordwesten kam wieder auf ihrem Besen herangebraust. Sie hätte keinen ungünstigeren Zeitpunkt wählen können.
„Wir gehen ins …“
Jake unterbrach sie: „Schwangau.“
Ella nickte.
Keine große Überraschung. Mims hatte nichts für mexikanisches Essen übrig, und eine Pizzeria war unter ihrer Würde. Genauso wie sie niemals ins Big Brats oder Hermans Hamburgers gehen würde. Jetzt, wo Zelda’s wegen Renovierung geschlossen blieb, war das piekfeine Schwangau der einzige Ort diesseits von Seattle, an dem Lily Swan sich herabließ zu essen. Warum konnte sie eigentlich nicht endlich jemanden in ihrem Alter finden, mit dem sie essen gehen konnte?
Ella eilte den Flur entlang. Jake hörte, wie sie die Tür öffnete. Dann vernahm sie Lilys Stimme. „Bist du fertig, Schätzchen? Ich möchte Axel nicht warten lassen.“
Axel! Wieso war der denn wieder auf der Bildfläche erschienen?
„Warte, ich hole nur schnell meinen Mantel“, antwortete Ella.
Der lag hier auf einem Sessel, zusammen mit ihrer Handtasche. Eine Sekunde lang überlegte Jake, ob er beides verstecken sollte.
Doch schon war Ella wieder da. Sie sah unglücklich aus, wobei er nicht sicher war, ob das an der Unterhaltung lag, die sie eben geführt hatten, oder an der Tatsache, dass ihre Mutter sie entführte. „Ich muss los“, sagte sie, ohne ihm in die Augen zu schauen.
„El“, flehte er. Wenn sie nur endlich einmal Zeit hätten, sich ungestört zu unterhalten, konnten sie die Sache bestimmt bereinigen.
Sie schüttelte den Kopf und eilte davon, während sie im Gehen ihren Mantel anzog.
Im nächsten Moment hörte Jake die Tür ins Schloss fallen.
„Und nun? Was soll ich jetzt machen?“, fragte er Tiny.
Tiny winselte voller Mitgefühl.
Jake ließ sich wieder auf das Sofa fallen. „Die beiden gibt es nur im Doppelpack, was?“,
Weitere Kostenlose Bücher