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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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er
mich immer erschreckt hat. Und das erste Mädchen, das gestorben
ist, hat es nicht in seiner Stadt gewohnt und habe ich nicht am Tag
nach Papas Beerdigung von ihrem Tod gehört…?
    »Was ist los?« Mark beugte sich zu mir herüber.
»Du siehst schrecklich aus, altes Haus. Bist du krank?«
    War ich krank? Ja. Ich konnte mich nicht rühren. Ich konnte
nicht atmen. Ich konnte nicht denken. Ich spürte, daß ich
starb. Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin in Ordnung…
nur müde. Es ist ein langer Tag gewesen.«
    Er war nicht überzeugt, hakte aber nicht weiter nach. Er
lenkte das Gespräch in eine andere Richtung, schmiedete
Pläne mit Anna für die Fahrt morgen nach Nomansland,
verschaffte mir Raum. Ich war nicht bereit, es ihnen zu sagen. Wie
könnte ich je bereit sein, es ihnen zu sagen?
    Tatsache war, daß das Leben eine Groteske zuviel für
mich bereitgehalten hatte. Von der Ministerin mundtot gemacht zu
sein, damit konnte ich leben. Auch verwanzt zu sein, auch mit der
durchgeschnittenen Kehle meiner Katze, der Bedrohung des Lebens
meiner wunderschönen Tochter. Mit all dem konnte ich klarkommen.
Aber das kostete etwas, und daß mein Bruder ein Serienkiller
war, kostete etwas zuviel.
    Keine der offensichtlichen Alternativen sagte mir zu.
Nervenzusammenbruch, Saufen, sich unter dem Bett verstecken –
das brächte mich aus der Sache heraus, aber nur auf Kosten
meiner Selbstachtung, und der Preis wäre unannehmbar. Was blieb
mir denn noch außer meiner Selbstachtung?
    Eine Alternative blieb. Unvernunft. Zurechtkommen durch
Nicht-Zurechtkommen. Unvernunft. Ich konnte nicht zurechtkommen, aber
ich konnte zurechtkommen… Meine Erinnerungen an den folgenden
Tag sind deutlich, jedoch zusammenhanglos, wie ein Drogentrip. Leute
und Ereignisse pusten sich in meinem Bewußtsein auf, werden
riesig groß und über-real, schrumpfen daraufhin zusammen
und verlieren mein Interesse. Ich glaube, daß ich mich nicht
gut benommen habe. Ich weiß, daß ich’s nicht getan
habe.
    In jener ersten Nacht fand ich keinen Schlaf. Ärzte sind an
Patienten gewöhnt, die vergangene Nacht kein Auge zugetan haben,
und eine Stunde Schlaflosigkeit liegt der Wahrheit näher, aber
ich weiß, daß ich nicht schlief, weil ich nicht zu Bett
ging. Die meiste Zeit über setzte ich mich nicht. Die meiste
Zeit über lief ich unablässig umher.
    Ich weiß nicht, was ich Anna sagte. Sie wußte,
daß ich völlig durcheinander war, sie hätte blind und
taub sein müssen, wenn sie’s nicht bemerkt hätte, und
ehe sie zu Bett ging, müssen wir über irgend etwas
gesprochen haben, aber ich weiß nicht, worüber. Meine
Erinnerung wird deutlicher, nachdem sie zu Bett und Yvette auf ihr
Zimmer und wir ins große Wohnzimmer gegangen waren. Mark stand
mit dem Rücken zum Kamin da, traditionell mit dem Rücken
zum traditionellen Kamin. Was ist er doch für ein liebenswert
traditioneller Mann, und ich habe ihm gerade gesagt, daß mein
Bruder Daniel der Karate-Killer sei.
    Natürlich glaubte er mir nicht, und als ich ihm die Sache mit
den Ringen erklärte, sagte er, es könne Zufall sein, und
dann habe ich zu erklären, daß das erste Datum
paßte, daß Daniel das Naturell für den Karate-Killer
hat, den Karate-Killer, und dann erinnere ich mich, wie ich vom
zweiten Mord gehört hatte, und war das nicht am Tag, als ich ihm
von Anna erzählt hatte, also bin ich es vielleicht, die er
haßt, nicht Mama, nicht im geringsten, und dann sagt Mark,
falls ich mir so sicher sei, müßte ich zur Polizei
gehen.
    Da verstumme ich und starre ihn an, und nach einer Weile sage ich:
»Zur Polizei? Du meinst, meinen eigenen Bruder
verraten?«
    Und Mark erwidert: »Ja. Wenn er wirklich der Karate-Killer
ist, mußt du es tun.«
    Der Karate-Killer. Ich weiß, ich muß zur Polizei
gehen, aber ich kann es nicht. Vielleicht täte ich es, wenn
Daniel nicht der Karate-Killer wäre, wenn er etwas anders
wäre, Tai-Chi-Würger, irgend etwas anderes als die
Alliteration Karate-Killer, weil ›Karate-Killer‹ ein
Ausdruck ist, den ich stets gehaßt habe, und zwar vom ersten
Augenblick seines Aufkommens an. Er ist billig. Billig und
häßlich, wie Mama früher von den Dingen im Dorfladen
sagte. Billig und häßlich. Ich kann nicht zur Polizei
gehen und ihnen sagen, daß Danno billig und häßlich
ist.
    Mark und ich reden viel. Ich sage zu ihm, Danno ist mein Bruder.
Ich sage zu ihm, ich kann nicht zur Polizei gehen. Ich sage ihm
Dinge, die ich ihm niemals gesagt habe, über meine Kindheit,
Mama

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