MERS
ich
kämpfe noch immer.
Daraufhin Stille, ein süßer, leichter Druck auf meine
Ohren. Meine Zellentür hat sich geschlossen, und die Stille ist
ein süßer, leichter Druck auf meine Ohren. Er vertreibt
jeglichen Gedanken und läßt mich mit meinen Schrammen
zurück. Ich habe jede Menge Schrammen. Zwischen der
Straßenbahn, der Polizeistation und dieser Zelle, jede Menge
Schrammen. Ich bin stark, doch Polizistinnen werden danach
ausgesucht, daß sie stärker sind, und es ist eine gut
bekannte Tatsache, daß sie selbst nicht gerade sanft mit einem
umspringen. Ich verdiene keine Hochachtung, und ich bekomme auch
keine. Die beiden Männer bekommen Hochachtung. Die Herrenrasse.
Nein – nicht fair. Die benachteiligten Parteien. Ich betaste
meine Schrammen. Die Stille vertreibt die Gedanken.
Nicht für lange. Ein großer, geschniegelter Polizist
tritt ein, ein Oberinspektor. Er berichtet mir, meine Opfer wollen
mich nicht anzeigen. Wie können sie es wagen, so
großzügig zu sein? Aber mir gefällt das Wort Opfer. Hoffentlich sind sie wirklich meine Opfer gewesen. Hoffentlich haben sie jetzt Schrammen, die schlimmer als
meine Schrammen sind. Der Oberinspektor teilt mir mit, da sei noch
immer der Strafbestand einer Erregung Öffentlichen
Ärgernisses (ich höre die großen Anfangsbuchstaben
heraus), aber er sagt, er habe meine Identität bestätigt,
und wenn ich meinen Mann dazu veranlassen würde, eine Kaution zu
hinterlegen, könne er mich vor Einbruch der Nacht hier
herausholen. Er sagt, er habe bei mir daheim angerufen und mit meinem
Dienstmädchen gesprochen (kein Wunder, daß er so
höflich ist, nachdem er mit meinem Dienstmädchen gesprochen hat), aber mein Gatte sei nicht erreichbar.
Ich erkläre, mein Gatte sei geschäftlich unterwegs. Er
würde vor sieben Uhr nicht nach Hause kommen. Der Inspektor ist
besorgt: bis dahin, sagt er, habe das Büro des Richters
geschlossen, weshalb die Möglichkeit derHinterlegung einer
Kaution bis zum Morgen ausgeschlossen sei. Ich müsse die Nacht
im Gefängnis verbringen.
Meine Nacht im Gefängnis macht ihm deutlichmehr Sorgen als
mir. Ich bin Dr. Kahn-Ryder, und erhält die Sache für eine
Frau in meiner Position nichtpassend. Ich bin auch Dr. Kahn-Ryder,
und er möchte nicht, daß die Medien Wind von meiner
Inhaftierung bekommen. Um ehrlich zu sein, ich gebe
einenScheißdreck darum, weder um die Nacht im Gefängnis
noch um die Medien. Richtig angepackt würdemir die Tatsache
meiner Inhaftierung Sympathienverschaffen. Obgleich es da einen Haken
gibt – werwird es anpacken? Ich nicht. Ich muß Danno
finden, ich muß mit Natalya reden, ich muß mich mit
Sergeant Milhaus befassen, ich muß eine Patentanmeldüng
und meinen Artikel für Natur schreiben, und ichmuß
schlafen. Ich bin unglaublich müde. Es ist erstvier Uhr, und ich
muß schlafen, und eine Nacht im Gefängnis ist die
Fahrkarte dafür. Der Inspektor wirdunser kleines Geheimnis
wahren. Ebensowenig wieich legt er Wert darauf, daß die Medien
über diesenOrt hier herfallen.
Er fragt mich, ob ich meinen Anwalt sprechen wollle. Ich entgegne,
ich hätte keinen verdammten Anwalt, und wenn ich einen
hätte, würde ich ihn, verdammtnoch mal, nicht sprechen
wollen. Er sagt, ihm wäre eswirklich lieb, wenn ich einen Anwalt
nähme, nicht ummeinet-, sondern um seinetwillen, damit
sichergestellt sei, daß er in voller Übereinstimmung mit
dem Gesetzgehandelt habe, und ich erwidere, er solle sich auf
dieSocken machen, verdammt noch mal! Soviel geflucht habe ich noch
nie zuvor im Leben. Es macht nocheinen Mann aus mir.
Ich lege auf. Der Inspektor geht, und ein Untergebener bringt mir
etwas zu essen, das ich nicht brauche.
Ich bin unglaublich müde, doch mir schwirrt der Kopf, und ich
bin vergangene Nacht nach meiner Fahrt mit Anna nach Nomansland
müde gewesen, und ich habe daraufhin nicht geschlafen, und in
einer Zelle in der Nähe ist eine Frau, die singt und kreischt
irgendwie, nein, kreischt und singt irgendwie, und, egal, was es ist,
das hilft mir, gelinde gesagt, nicht gerade beim Einschlafen, und
jetzt fällt das Tageslicht durchs Fenster, und meine Blase teilt
mir mit, es sei Morgen und ich hätte geschlafen.
Um neun Uhr trifft Mark ein. Er sieht schrecklich aus. Er umarmt
mich, küßt mich und sagt mir, daß die Sache mit der
Kaution etwa eine Stunde dauern würde. Sie benötigt weniger
als eine Stunde. Er geht weg, kommt wieder, umarmt mich erneut, ich
sammele den Inhalt meiner Taschen bei der Polizistin am Schalter
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