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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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vergißt, Harriet Ryder. Ein
zarter Wink. Nächstes Mal trägst du deinen Button. Dann
werden die fiesen Männer nicht über dich
herfallen.«
    Die Mädchen hinter ihr waren jetzt ruhig. Brak ging dicht an
ihr vorüber zu ihnen, gefolgt von Fett und Hager. Er
hinterließ eine schwache Spur eines teuren Aftershaves. Harriet
wartete. Sie sammelte ihre Kräfte, während die kleinen
Geräusche, die die anderen verursachten, das Scharren von
Ärmeln und Hosenbeinen, sich allmählich entfernten.
    Sie sah ihnen nicht nach. Sie konnte es nicht. Sie war kaum
imstande zu stehen, so stark war ihre Furcht gewesen. Brak
fühlte sich plötzlich zu allem in der Lage. Sie wußte
nicht, wozu. Zu allem.
    Schließlich ging sie zitternd weiter die Straße hinab
in die Stadt. Eine Schiffssirene heulte auf der anderen Seite des
Hafens, und der Laut hallte von den steilen Bergen wider. Sie fuhr
heftig zusammen. Von ihrem Standpunkt aus, oben auf dem
Eckett-Gelände, konnte sie die Hafenmündung nicht
sehen.
    Als sie die Harbour Street hinabgelaufen war, passierte das Schiff
gerade Town Quay. Ein eleganter japanischer Frachter, der
flußaufwärts zu den Molen glitt, ein Motorsegler mit
röhrenförmigen Segeln aus einer Metallegierung, der sich,
unbeladen, hoch über den hiesigen Yachten und Fischerbooten
auftürmte. Das ehemalige Gewerkschaftshaus – das Wort war
noch immer über dem Eingang eingemeißelt – war in ein
staatliches Sperma-Sammel-Zentrum umfunktioniert worden, und
Männer kamen aus den Warteräumen, um zuzuschauen. Solche
Schiffe waren selten: die Tongruben im Inland waren fast
erschöpft.
    Harriet wartete auf dem Kai unterhalb der Jahrtausendwende-Uhr,
bis das Schiff vorüber war, und ging daraufhin langsam zu dem
Abfallkorb am Geländer und schüttete die zerrissenen
Notenblätter aus ihrer Mappe hinein. Sie verstand jetzt,
weswegen Mädchen ihren Müttern nie erzählten, wenn sie
vergewaltigt worden waren. Sie würde Mama nichts von Brak
erzählen. Es war zu widerlich.
    Sie ging heim. Danno würde in wenigen Stunden eintreffen. Es
war sein erster Besuch seit Weihnachten, und sie hatte sich seit
Wochen darauf gefreut.
     
    Zwei Jahre bei der Armee hatten Daniel fülliger werden
lassen. Sie hatten einen pickeligen Halbwüchsigen genommen und,
seinen eigenen Worten zufolge, einen Mann aus ihm gemacht. Zur Armee
zu gehen war ganz und gar seine Idee gewesen, die beste, die er je
gehabt hatte. Während der kleine Automatikzug die eingleisige
Strecke vom Umsteigebahnhof den Windstrohm River entlang
hinabtrudelte, lehnte er sich wohlig im Sitz zurück, gähnte
und streckte sich. Er musterte sein Erscheinungsbild, angefangen von
einem vor sich ausgestreckten olivbraunen Ärmelaufschlag, weiter
den Ärmel entlang, dann die Jacke mit dem Ledergürtel,
weiter hinab zu der Hose mit den messerscharfen Bügelfalten und
schließlich die schwarzen, auf Hochglanz gewichsten
Stiefel.
    Einige Burschen wurden mit einem Schlag zu Zivilisten. Das konnte
er sich nicht vorstellen. Schließlich schämte er sich
nicht, Soldat zu sein.
    Er streckte sich erneut und drückte dabei seine Stiefel gegen
die Unterseite des leeren Sitzes gegenüber. Seine Nackenmuskeln
knarrten, und er spürte innerhalb seiner Uniform sich selbst als
absolute Gegebenheit. Er besetzte sie, füllte sie aus, wie er
sonst nichts ausfüllte. Er war an jenem Abend der einzige
Fahrgast im Zug: die Fahrt am Fluß entlang, die er stets
geliebt hatte, gleich ob Winter oder Sommer, gehörte ihm allein.
Er bekam einen Steifen. Sich jetzt einen runterholen wäre
großartig. So was wie ’ne kleine Feier. Aber es wäre
Verschwendung. Jeder Kubikzentimeter wurde benötigt. Er sollte
es fürs Sammelzentrum aufheben.
    Er zog Arme und Beine wieder ein, beugte sich vor und sah aus dem
Fenster. Flüchtige Blicke zwischen den Kiefern hindurch zeigten
ihm, daß Flut war, so daß der Windstrohm bis zu den Ufern
unterhalb der Bäume gefüllt war. Die Sonne stand jetzt
unter dem westlichen Horizont, das Wasser war still, dunkel und
geheimnisvoll. Während der Zug dahinfuhr, hörten die
Bäume auf, und er hatte einen ungetrübten Blick auf
riedbedeckte Schlammkissen und einen halb untergetauchten Hulk nahe
dem gegenüberliegenden Ufer. Der steile Hügel darüber
war bis zum Horizont aufgeforstet worden. Größtenteils
waren es verkrüppelte Eichen, die sich schwarz vor dem
glühenden Opalhimmel abhoben, und die Silhouette einer
gewundenen Reihe von Stromleitungsmasten kennzeichnete die
Straße.

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