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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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das kleinste bißchen.«
    »Sie warten auf Harri, Papa. Noch ein paar Jahre, dann wird
sie’s ihnen zeigen.« Er boxte seinen Vater leicht auf die
Schulter. Was für eine verdammt lausige Art und Weise, seinen
Samstag zu verbringen!
    Aber Johan hörte nicht zu, er war zu seinem Ausgangspunkt
zurückgekehrt. »Es macht mir Angst, Daniel. Das
Leben, das ich vergeudet habe. Man kann etwas aus Liebe tun, und man
kann etwas aus Schwäche heraus tun. Zwischen Menschen, meine
ich. Ehemänner und Ehefrauen… das muß ich dir nicht
sagen, ausgerechnet dir. Du hast es durchgemacht. Hast du’s
nicht durchgemacht?«
    Daniel funkelte ihn an. Das war widerlich. Dafür war er nicht
auf Urlaub gekommen.
    Sein Vater verstand. Er lehnte sich zurück, legte den Kopf an
die Mauer und starrte über den Hafen hinaus. »Tut mir leid.
Teufel noch mal, ich hab zuviel getrunken. Aber nicht deswegen tut es
mir leid. Du wirst daran gewöhnt sein… Nein. Es tut mir
leid, Daniel, weil ich bin, was ich bin, und niemals ›nein‹
zu ihr gesagt habe. Und ich habe es Liebe genannt. So einfach ist
das. Nicht um deinetwillen, nicht um irgend jemandes willen habe ich
niemals ›nein‹ zu ihr gesagt. Allmächtiger
Christus… «
    Er schüttelte den Kopf, raffte sich auf, schüttete aus,
was in seinem Glas noch übrig war, und beugte sich über
Daniel, eine Hand auf der Banklehne. »Drei Pints hat’s
gebraucht, bis ich soweit war. Ist das nicht kläglich? Und jetzt
bist du bei der Armee, und Gott weiß, was du über alles
denkst, wenn du irgendwas denkst. Also werde ich jetzt nach Hause
gehen, und ich schaff’s schon allein, du brauchst mich nicht zu
begleiten, und wenn es Zeit zum Abendbrot ist, wird nichts von allem
hier geschehen sein… Aber es tut mir leid, daß es
geschehen ist. Es tut mir wirklich leid.«
    Daniels Ärger welkte dahin, und wie versteinert starrte er
ihm nach, als ob es einen blendenden Tunnel von Jahren hinabginge,
bis hin zu einer Zeit, die er nicht näher bestimmen konnte,
einem Ort, den er nicht wiedererkannte. Tut mir leid. Niemals soll
dir etwas leid tun. Auslösende Worte. Nichts anderes vernahm
er. Die Zeit waren alle seine Jahre, der Ort war überall.
Niemals soll dir etwas leid tun. Was er war, was er geworden war und
warum.
    Langsam kehrte er zurück. Er wischte sich mit dem Ärmel
über die Augen. Was war er denn überhaupt? Ein Soldat in
der, verdammt noch mal, feinsten Armee der Welt, und der letzte
seiner Art. Sechs Wochen nach ihm waren bloß noch Mädchen
gekommen. Mädchen, verflucht noch eins. Armeemädchen, Huren
und Lesben.
    Das Glas seines Vaters stand noch immer auf der Bank. Er wischte
es zu Boden und trat es gegen die Mauer, wo es zerbrach. Dann ging er
wieder zu seinen Freunden in die Bar und zu einem richtigen
Besäufnis zurück.
     
    Harriet und Bess kehrten gegen halb drei von der
AIDS-Beratungsstelle nach Hause zurück. Dannos Zimmer war leer.
Papa schlief ungewöhnlicherweise oben auf dem Wohnzimmersofa.
Für Harriet war ein Brief auf dem Drucker eingetroffen. Sie nahm
ihn und ging in ihr Zimmer hinab, um aus den Kleidern zu kommen, die
Mama passend fürs Büro hielt. Der Brief war von Oma,
Bess’ Mutter. Oma hatte nie geheiratet oder
regelmäßig einen Mann um sich gehabt; Johans Eltern waren
beide tot. Sie waren bei einem Bombenanschlag auf ein
Frauenkrankenhaus draußen auf der Straße umgekommen;
weitere Tanten oder Onkel gab es nicht. Außerhalb ihrer
unmittelbaren Familie war Oma jetzt Harriets einzige lebende
Verwandte.
    Sie teilte mit, daß sie vorzeitig in den Ruhestand treten
würde. Sie hatte das ganze Leben lang im Bibliotheksdienst
gearbeitet, aber ein vor kurzem verabschiedetes Gesetz hatte das
Pensionsalter für Männer auf siebzig Jahre heraufgesetzt,
wobei weitere fünf Jahre Verhandlungsspielraum bestanden, und
Oma sagte, somit hätte sie mit ihren achtundfünfzig Jahren
keinerlei Aufstiegschancen mehr. Daher schied sie
vernünftigerweise aus.
    Oben im Wohnzimmer erhoben sich Stimmen. Harriet faltete den
Ausdruck entlang der Perforation und legte ihn auf die Kommode, so
daß sie die zweite Seite lesen konnte, während sie den
Rock auszog. Oma verkaufte ihr Haus. Sie dachte daran, auf einer
Insel draußen vor South Foreland zu leben – die Insel, auf
der sie die letzten drei Sommerferien verbracht hatte. Die
Vorstellung einer kleinen Gemeinschaft sagte ihr zu, und es bestand
die Möglichkeit, an der dortigen Grundschule eine Halbtagsstelle
anzutreten. Ob Harriet sie für

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