Messer, Gabel, Schere, Mord: Mitchell& Markbys Vierter Fall
stattliche Frau, die da ihre üppigen Reize auf so wundervoll freizügige und stolze Weise präsentierte, mit Formen, die an die Erdmütter primitiver Kulturen erinnerten. Sie war nicht schön, doch auf ihre Weise überwältigend und in Merediths Augen ein prachtvolles Weib, wenngleich mit leichten Fehlern. Üppiges langes Haar fiel bis über die Schultern herab, und sie hatte nur sehr wenig an, um ihre Blößen zu bedecken. Genau genommen überhaupt nichts, soweit Meredith feststellen konnte. Die Gestalt blickte sich um, wie um sicherzustellen, dass sie die Aufmerksamkeit aller besaß. Dann hob sie ein Spruchband mit einer nicht entzifferbaren Inschrift und rannte in einem schwerfälligen Trab auf den Rasen und die geladenen Gäste zu. Meredith kam es vor, als hielte die Frau geradewegs auf sie zu. Die ersten Reaktionen erfolgten beinahe zögernd. Nur ein Mann löste sich aus der Menge und rannte außen herum der Nackten entgegen, wahrscheinlich, um ihr den Weg abzuschneiden. Doch sie war zu schnell für ihn, und andere hatten sich noch nicht genug von ihrem Schreck erholt, um einzugreifen. Die nackte Frau bewegte sich mit trügerischer Geschwindigkeit und hatte bereits die Barriere erreicht. Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte Meredith, sie würde versuchen, das Hindernis zu überspringen. Doch die Nackte drückte das Geländer einfach beiseite und rannte unter lautem Geschrei weiter, während sie das flatternde Spruchband schwenkte. Sie rannte über den Rasen, und die Ehrengäste, von dem Spektakel aufgeschreckt, hatten sie inzwischen ausnahmslos alle wahrgenommen. Sie starrten die Frau mit ungläubig staunenden Gesichtern an, die Gläser in den Händen auf halbem Weg zum Mund gefroren. Die Zuschauer hinter der Barriere schienen gleichermaßen benommen, und nur ein Mann deutete auf die Nackte und sagte etwas zu seinem Nachbarn. Endlich hatte auch die Fernsehmannschaft die Ursache für den Aufruhr bemerkt, und der Reporter, der sich die ganze Zeit verzweifelt bemühte, ein wenig Begeisterung zu zeigen angesichts dieser (wie er insgeheim dachte) todlangweiligen gesellschaftlichen Veranstaltung, trug den Ausdruck eines Mannes im Gesicht, der gerade einen Volltreffer im Lotto gelandet hatte. Dann brüllte einer der Sicherheitsleute, die Schuhmacher zum Schutz seiner Ehrengäste eingestellt hatte, mit kreidebleichem Gesicht eine Warnung und stampfte mit schweren Schritten auf die Demonstrantin zu. Schuhmacher war auch wieder zurück, mit einem Kopf, der so rot war, wie das Gesicht des Leibwächters weiß. Neben Meredith schimpfte Alan Markby leise und zerrte sich geistesgegenwärtig die Smokingjacke vom Leib, während er losrannte, um den unerwarteten und unwillkommenen Anblick nackter Haut zu verhüllen. Die Nackte entwischte ihnen allen. Sie duckte sich und tauchte unter der ausgestreckten Hand des Leibwächters hindurch, wirbelte das Spruchband über Schuhmachers Kopf und rannte um die Ecke des Hauses. Hinter ihr kamen die Sicherheitsleute, dann Schuhmacher, noch immer in das Spruchband verwickelt, Markby, Laura und Paul Danby und selbst Victor Merle. Dahinter die Fernsehtruppe, und alle brüllten und riefen wie Bluthunde, die eine Witterung aufgenommen hatten. Meredith wurde in die verrückte Jagd gesogen; sie raffte ihren langen Rocksaum und rannte über den Rasen wie damals in längst vergangenen Schulsporttagen. Das ist vollkommener Irrsinn!, dachte sie, doch sie konnte nicht anhalten. Ihre Beine schienen einen eigenen Willen zu entwickeln, und jeder Versuch, stehen zu bleiben oder auch nur langsamer zu rennen, hätte eine heillose Massenkarambolage rings um sie herum ausgelöst. Die Zuschauer vor der Barriere, die nicht im Traum mit einer so guten Schau gerechnet hätten, wurden inzwischen ebenfalls vom Jagdfieber angesteckt. Sie pfiffen und johlten und feuerten die Läufer des improvisierten Kostümwettlaufs an. Einige der Jüngeren überwanden die zerstörte Barriere und gesellten sich zum Rudel. Die vordersten Läufer verschwanden bereits um die Ecke des Hauses. Meredith folgte ihnen zusammen mit all den anderen. Inzwischen waren sie eine bunt gemischte Truppe: Ehrengäste und Zuschauer gleichermaßen, und sämtliche sozialen und technischen Barrieren schienen zusammengebrochen. Smokings und lange Abendkleider rannten zwischen Bluejeans und Sweatshirts, Diamanten glitzerten neben Plastikohrringen und Strass aus dem Supermarkt. Kameras aller Arten wurden geschwenkt, angefangen bei den professionellen
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