Messer, Gabel, Schere, Mord: Mitchell& Markbys Vierter Fall
Leahs Stola zu suchen. Das Zimmer der Fultons war vom dezenten Duft eines teuren Parfums erfüllt. Leahs Schminkzeug stand auf der Kommode, und das Kleid, das sie am Nachmittag getragen hatte, hing an einem Bügel über der offenen Badezimmertür. Meredith musste lächeln. Sie kannte den Trick selbst und hatte schon häufig Dampf aus dem Badezimmer benutzt, um Knitterfalten aus ihrer Garderobe zu entfernen. Trotzdem war es peinlich, im Zimmer fremder Menschen herumzustöbern, auch wenn die gesamte Etage verlassen lag. Schließlich konnte jederzeit ein Zimmermädchen oder ein Polizeibeamter vorbeikommen und fragen, was sie im Zimmer der Fultons zu suchen hatte. Sie griff nach Leahs Stola und eilte wieder nach unten. Während ihrer Abwesenheit hatte irgendjemand Tee organisiert, der von einem makellos gekleideten und bemerkenswert gelassenen Kellner auf einem Wagen serviert wurde. Es war ein absurder Anblick unter den gegebenen Umständen. Eric war eindeutig fest entschlossen, sich um seine Gäste zu kümmern, ganz gleich, was geschah. Meredith ging mit der Stola zu Leah und beugte sich zu ihr herab.
»Ihr Gatte hat mich gebeten, das hier für Sie mitzubringen.« Leah Fulton blickte auf und lächelte. Es war ein so strahlendes, wundervolles Lächeln, dass Meredith vollkommen überrascht wurde. Das gleiche dezente Parfum, das seine Spuren im Zimmer der Fultons hinterlassen hatte, umgab auch Leah, und ihre Haltung war vollkommen. Nicht eine Strähne unordentlich, kein offensichtlicher Hinweis auf ihren emotionalen Zustand. Es fiel Meredith schwer, sich einen größeren Kontrast vorzustellen als den zwischen Leah und ihrem aufgewühlten Ehemann. Niemand schien weniger an den Schauplatz eines Mordes zu passen als sie. Doch vielleicht waren die Jahre in der sozialen Tretmühle eine Erklärung für ihren Gleichmut. Die Damen der gehobenen Gesellschaft mussten – genau wie das bescheidenere konsularische Personal – imstande sein, mit jeder erdenklichen Situation fertig zu werden.
»Danke sehr!« Perlmuttrosa lackierte Fingernägel schlossen sich um die Stola.
»Denis ist ja so aufmerksam. Und es war sehr freundlich von Ihnen, dass Sie sich die Mühe gemacht haben.«
»Kein Problem. Es erschien einfacher, als dass zwei Leute um Erlaubnis bitten, den Raum zu verlassen.«
»Ich werde trotzdem gleich noch einmal um die Erlaubnis bitten müssen«, sagte Leah unerwartet.
»Ich muss nämlich auf die Toilette.« Mit einer plötzlichen gereizten Bewegung zog sie die Stola um die Schultern, und Meredith begann zu vermuten, dass Leah unter ihrem gefassten Äußeren doch sehr angespannt war. Denis hatte Recht gehabt.
»Ich schätze«, sagte Leah kühl,
»dass wir von einer Beamtin begleitet werden, wenn und falls wir gehen. Das ist demütigend.«
»Ich denke, das dort drüben wird sie sein.« Meredith blickte zu WPC Jones hinüber.
»Auch für sie ist es nicht gerade lustig, denke ich.«
»Ja, sicher, aber wir sind keine Kamele!« Leah rutschte auf ihrem Sitz hin und her.
»Und mit diesem elenden Tee abgefüllt zu werden, hat mir gerade noch gefehlt.« Ihre letzten Worte waren eine Reaktion auf die Ankunft des Kellners. Meredith ließ sich trotzdem zwei Tassen Tee von ihm geben und stellte sie auf die gestärkte Damasttischdecke des nächsten Tisches.
»Sie sollten lieber etwas Heißes trinken. Es hilft gegen den Schock.«
»Ein Brandy wäre besser, aber vermutlich wird man uns keinen geben«, sagte Leah seufzend und fügte mit resignierter Stimme hinzu:
»Denis wollte von Anfang an nicht herkommen, doch er meinte, er wäre es Eric schuldig. Ich hätte festbleiben und die Sache absagen sollen. Schließlich gibt es genügend Kritiker, die übers Essen schreiben. Eric hätte sich jemand anderen holen können.«
»Warum wollte Ihr Mann nicht hierher?«, fragte Meredith neugierig.
»Man sollte meinen, jemand wie er wäre neugierig auf das neue Restaurant.«
»Nun ja, erstens meinte Denis, ein Restaurant könne nicht nach der Eröffnungsgala beurteilt werden. Dazu müsse man an einem ganz gewöhnlichen Tag einkehren und sehen, wie Essen und Service dann sind.« Es schien ein berechtigter Einwand und für sich allein genommen Grund genug, doch nach einer kurzen Pause fuhr Leah fort.
»Außerdem steht Denis in letzter Zeit unter großem Druck. Er hat sich einen neuen Computer angeschafft, ein Textverarbeitungssystem, so nennt man dieses Ding, glaube ich. Aber er kommt einfach nicht damit zurecht. Und außerdem …« Leah
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