Messewalzer
dir helfen kann, sag bitte Bescheid.«
»Ich weiß nicht, ob ich das alles jemals begreifen kann.« Sie atmete tief durch, um einem Weinkrampf vorzubeugen. »Ich kapier einfach nicht, was da passiert ist. Von jetzt auf gleich. Von einer Sekunde auf die andere. Was ist da bloß geschehen, Wiggins?«
Wiggins konnte die Frage nicht beantworten. Liane hatte keine Auskunft erwartet.
»Weißt du, die Zeit im Krankenhaus war schrecklich. So allein … mit meinen Gedanken. Wir haben so viel erlebt. Wir haben doch alles zusammen gemacht.« Nun ließ sie ihren Tränen freien Lauf. »Wir waren doch so ein gutes Team. Er hat geschrieben und ich habe mich um den Rest gekümmert. Wir haben uns so geliebt. Könnt ihr euch vorstellen, wie ein berühmter Autor angemacht wird? Aber er hatte keine Augen dafür. Da war gar nichts. Er hat sich nicht einmal nach einer anderen Frau umgedreht.«
Kroll und Wiggins merkten, dass Liane jemanden zum Reden brauchte. Sie unterbrachen sie nicht.
»Es war so schön. Willi war ja nicht immer berühmt gewesen. Als wir uns kennenlernten, hatte er gerade mal 3.000 Bücher verkauft. Wir haben von meinem kleinen Gehalt gelebt. Aber das war uns egal! Wir brauchten doch nicht viel. Wir hatten uns und das war alles, was wir wollten. Und dann kam der Erfolg wie ein Geschenk Gottes. Er verkaufte immer mehr Bücher. Das war so schön. Sein Traum, sein Lebenswerk ging langsam in Erfüllung. Aber nicht von heute auf morgen, sondern bedächtig, Schritt für Schritt. Er war so glücklich, wir waren so glücklich!« Sie nippte an dem Tee, der vor ihr stand. »Die erste Reise zu einem ausländischen Übersetzer ging nach Mailand. Ausgerechnet Mailand! Könnt ihr euch vorstellen, was das für ein Gefühl war? Die kleine Liane und der kleine Autor waren auf einmal in Italien … und wir haben es genossen. Wir waren die Könige, zumindest haben wir uns so gefühlt!«
»Willi hat mir oft von Mailand erzählt«, bestätigte Wiggins. »Das war bestimmt ein ganz besonderes Erlebnis für euch beide.«
»Ich könnte euch so viele Geschichten erzählen. Das erste Mal Amerika, das erste Mal Platz eins in den Bestsellerlisten, der erste Preis … aber deshalb habe ich dich nicht angerufen.«
Wiggins konnte nicht einschätzen, ob es der richtige Zeitpunkt war, über den Fall zu reden. Er wartete, bis Liane fortfuhr.
»Ich will wissen, wer Willi umgebracht hat. Ich finde bestimmt keine Ruhe, bis ihr den Mörder geschnappt habt. Und dabei will ich euch helfen.« Zum ersten Mal sah sie Kroll an. »Oh, Entschuldigung. Ist es in Ordnung, wenn wir du zueinander sagen?«
»Kein Problem«, beruhigte sie Kroll.
»Fragt mich bitte, was ihr wissen müsst.«
Wiggins sah Kroll an. Offensichtlich war es ihm lieber, dass sein Kollege den dienstlichen Teil übernahm.
Krolls Stimme war einfühlsam. Er gab sich Mühe, auf den Zustand der Trauernden einzugehen. »Liane, wir konnten in Erfahrung bringen, dass Willi Lachmann für einige Unruhe in der Verlagsszene gesorgt hat. Zeitraub wollte ihn unbedingt halten und Zuckerblume hatte Angst vor einer feindlichen Übernahme.«
Liane stand auf und holte einen Leitzordner aus dem Regal im Wohnzimmer. »Jetzt zeig ich euch mal was!« Schnell fand sie, wonach sie gesucht hatte. »Das ist der erste Vertrag, den Willi mit einem Verlag abgeschlossen hat, einem sehr kleinen Verlag, den es gar nicht mehr gibt.« Sie fuhr mit dem Finger über eine Seite und blätterte um, um den Finger auch die zweite Seite herunterfahren zu lassen. »Das ist nur Paragraf fünf, Rechteübertragung. Jetzt habt ihr vielleicht eine Vorstellung, über was wir hier reden.«
Wiggins war erstaunt. »Ich dachte, ein Verlag macht Bücher?«
»Wenn das so einfach wäre!« Liane war in ihrem Element. Die berufliche Ablenkung schien die Trauer zu überlagern. » Bücher bedeutet, die erste Ausgabe kommt als Hardcover und, wenn der Markt sich ein wenig beruhigt hat, folgt die Taschenbuchausgabe. Da hätten wir schon mal zwei Rechte. Aber es geht weiter: Denn da hast du noch kein Hörbuch, keine CD, keine Kassette!«
Wiggins sah Kroll nachdenklich an.
Liane fuhr fort. »Aber da sind wir noch lange nicht am Ende. Ich mach’s kurz: Wir hatten eine sehr konkrete Anfrage vom Fernsehen, beste Sendezeit: Der Samstag- oder Sonntagabend. Aber das ist noch nicht alles! Aus Amerika kam das Interesse, Willis Roman ›Wolfsangeln‹ zu verfilmen. Das sind keine Peanuts! Es geht um bares Geld … um sehr viel Geld!«
Wiggins
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