Messi
sich an dem gemeinschaftlichen Ritual und klatschen Beifall, bis ihnen die Hände schmerzen. Es ist die höchste Form der Anerkennung.
Die Spieler auf dem Platz wie Eto’o, Deco und Gudjohnsen schlagen sich die Hände vors Gesicht. „Oh, mein Gott, was hat der denn da gerade gemacht?!“, ist wohl die beste Übersetzung für ihre ungläubigen Blicke. Und damit ist es noch nicht vorbei – in den Live-Interviews nach dem Spiel sind Mannschaftskollegen und Gegner gleichermaßen voll des Lobes:
„Es war das schönste Tor, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.“ (Barcelonas Mittelfeldmann Deco)
„Er hat uns alle in den Schatten gestellt.“ (Barcelonas Torwart Albert Jorquera)
„Ich hoffe nur, dass ich mich nicht noch in 30 Jahren im Fernsehen wiedersehe.“ (Getafes Linksverteidiger Javier Paredes)
„Mit Worten kann man dieses Tor nicht beschreiben. Ich saß auf der Bank und bin förmlich in Ehrfurcht erstarrt.“ (Getafes Stürmer Daniel Güiza)
Getafes damaliger Trainer Bernd Schuster sieht das nicht ganz so, aber so kennt man ihn ja: „Wir hätten Messi mit einem Foul aufhalten sollen, auch wenn wir dann eine Verwarnung kassiert hätten. Wir waren zu edel.“
Innerhalb eines Tages wird dieses Tor überall auf der Welt diskutiert. Obgleich Fußball vor allem von Ästhetik und Wundern lebt, analysieren nun einige Menschen dieses Tor anhand von Zahlen, Diagrammen und Statistiken: Leo brauchte bis zum Abschluss 12 Sekunden, Diego 10,8; Leo lief 60 Meter, während es im Aztekenstadion 62 waren; Messi hatte 13 Ballberührungen und Maradona zwölf; Leo umkurvte fünf Gegner, während Maradona sechs englische Spieler hinter sich ließ. Die Bilder ihrer Taten werden übereinander und nebeneinander abgespielt, um sie so besser vergleichen und analysieren zu können. Wie in einem Spiel für Kinder suchen die Menschen nach den Ähnlichkeiten. Am besten macht es dabei die Zeitung La Nación aus Buenos Aires, die auf zehn Übereinstimmungen vom Anfangspunkt bis hin zum Torjubel kommt (beide laufen zur Eckfahne auf der rechten Seite des Platzes). Internetseiten, Fernsehsender und Zeitungen veröffentlichen Umfragen. Die Fragen sind mehr oder weniger deckungsgleich: Welches Tor war spektakulärer, das des Flohs oder das von Diego? Welches gefiel Ihnen besser? Was glauben Sie, welches besser war? Die Umfrage von Marca erhält 55.000 Antworten. 60,62 Prozent ziehen Messis Tor vor, während 39,38 Prozent für Maradonas Tor votieren. Die Radiostation Cadena Ser kommt zum gleichen Ergebnis, auch wenn der Abstand geringer ist: Messi gewinnt mit 52 Prozent. Die Umfrage von Mundo Deportivo verzeichnet eine überwältigende Mehrheit zugunsten des Stürmers vom FC Barcelona, nämlich mehr als 75 Prozent. Die Nutzer der argentinischen Webseite von Olé sprechen sich mit 74,3 Prozent für Maradona aus. Das war absehbar, hat sich sein Tor doch tief in das kollektive Gedächtnis des Landes eingebrannt – es gibt keinen einzigen Haushalt, in dem dieses Tor nicht wenigstens einmal auf Video oder DVD angeschaut worden ist. In Argentinien gibt es Diegos Jahrhunderttor sogar als Daumenkino. (Neben diesem Treffer enthält die Daumenkino-Sammlung „Argentinische Ikonen“ noch Diegos mit der „Hand Gottes“ erzieltes Tor, Maradonas Ballkunststückchen in Villa Fiorito und Maxi Rodríguez’ Tor gegen Mexiko – Leo Messi und sein glorreicher Augenblick sind bisher noch nicht Teil dieser exklusiven Auswahl.) Man sollte außerdem bedenken, dass Maradona in Argentinien nicht bloß ein Fußballspieler, sondern ein Volksheld ist, eine lebende Legende, ja eine Glaubenssache (die Iglesia Maradona, die Maradona-Kirche, ist eine Religion mit Parodiecharakter, die Diego als oberster Gottheit huldigt). Er steht in einer Reihe mit José de San Martín (dem General, der um die Unabhängigkeit von Spanien kämpfte), Carlos Gardel (dem berühmten Tangosänger), Evita Perón, Jorge Luis Borges (dem berühmten Schriftsteller) oder Ernesto „Che“ Guevara.
In jedem Fall illustrieren diese Umfragen anschaulich das Ausmaß der Leidenschaft auf beiden Seiten des Großen Teichs. Neben der Debatte darüber, wessen Tor wohl das bessere sei, wird nun auch die Frage diskutiert, die La Nación wie folgt formuliert: „Versuchte Messi, Maradona nachzumachen? War alles ein großer Zufall oder nicht?“ Der Mann wird sämtliche Zweifel höchstpersönlich ausräumen. „Vielleicht war die Spielweise die gleiche. Ich habe es erst einmal im Fernsehen
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