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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Beckett
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ist es eigentlich das Fleisch, das sie hassen?
    Aber sie sind selbst ganz aus Fleisch.

    Soll dieser Fehler der Hauszentrale gemeld-

Kapitel 52
    L ucy saß am Fenster in dem winzigen Zimmer, das der Besitzer des örtlichen Geschäfts im nächsten Dorf für uns geräumt hatte. Sie hatte ihr Kleid ausgezogen, weil es auf dem wunden Fleisch oben an ihren Armen und Beinen scheuerte. (Ich glaube nicht, dass es ihr im menschlichen Sinne weh tat, aber die Signale der in das beschädigte Fleisch eingelassenen Sensoren lärmten ständig in dem Siliziumgehirn in ihrer Brust herum und nahmen Informationsverarbeitungskapazitäten in Beschlag, die anderweitig gebraucht wurden.)
    Durch das Fenster drang das leise, klagende An- und Abschwellen einer orthodoxen Liturgie. Der heutige Tag war dem Ortsheiligen gewidmet, und die meisten Dörfler, die sich bei unserer Ankunft versammelt hatten, um Lucy zu begaffen, waren jetzt in der Kirche, in der von morgens bis nachts ununterbrochen Gottesdienste abgehalten wurden. Der Ladeninhaber hatte seinen vierzehnjährigen Sohn Spiro zum Aufpassen in seinem winzigen Geschäft gelassen, das zugleich als Café, Restaurant und Kneipe diente.
    Ich saß unten und trank vor mich hin, wobei mich allein schon die Aussicht, zu Lucy zurückzukehren, mit Schrecken erfüllte. Der muffige Gestank ihres nässenden Fleisches, ihr ausdrucksloses, blödsinniges Gesicht, das über irgendein Buch gebeugt war oder ins Leere starrte und langsamen, öden, schwerfälligen Gedanken nachhing …
    Außer mir befanden sich noch zwei Schafhirten in dem Geschäft. Sie hatten für heute genug gebetet. Einer von ihnen – Petros – war um die fünfzig. Sein Neffe Andreas war etwa so alt wie ich. Beide trugen große Schnurrbärte und waren drahtig und kräftig, mit Sehnen, die durch den täglichen Gang vom Dorf zu den steinigen Weiden in den Bergen und zurück gestählt waren.
    Sie waren fasziniert von mir. Meine helle Haut und mein sonderbarer Akzent waren ihnen ein bisschen unheimlich. Ich glaube, sie hätten mich gerne angestupst und ausgezogen, nur um zu sehen, woraus ich bestand – wenn auch nur halb so gern, wie sie das Gleiche mit meiner wunderschönen Frau gemacht hätten. (Beide hatten sie schweigend unter schweren Lidern hervor beobachtet, sie in Gedanken ausgezogen und sich ihre weiche, nachgiebige Nacktheit darunter vorgestellt, ohne zu ahnen, dass sich unter ihrem hübschen Kleid nichts als ein hartes Plastikgehäuse mit abgerissenen Nährstoffschläuchen und einer aufgedruckten Seriennummer verbarg.)
    Da sie weder Lucy noch mich ausziehen konnten, taten sie stattdessen das Nächstbeste: Sie füllten mich mit Raki ab, um mir die Zunge zu lockern, und bestürmten mich mit Fragen:
    »Glaubt ihr wirklich nicht an Christus?«
    »Gibst du zu, dass Konstantinopel von Rechts wegen den Griechen gehört?«
    »Was ist das großartigste Land der Welt?«
    »Ist Raki nicht der beste Schnaps, der je erfunden wurde?«
    »Können eure Frauen wirklich heiraten, wen sie wollen?«
    »Feiert ihr nicht mal Ostern?«
    »Was halten eure Soldaten von unserer mutigen griechischen Armee?«
    »Ihr habt vielleicht Maschinen und Autos, aber willst du vielleicht leugnen, dass unsere Männer mannhafter sind?«
    Nach einer Weile forderten sie mich zu einem Kartenspiel auf und warfen einander flüchtig triumphierende Blicke zu, als sie meine Drachmen einstrichen.
    »Sag ruhig, dass wir dich betrogen hätten, wenn du dich traust!«, sprach es aus ihrem grausamen, spöttischen Lächeln, aber laut zogen sie mich bloß für mein schlechtes Spiel auf: »Ihr Stadtleute seid also nicht so schlau, wenn es ums Kartenspielen geht, was? Trotz all eurer wunderbaren Maschinen!«
    Ich wusste, dass sie betrogen hatten, aber ich war zu betrunken, um mir zusammenzureimen, wie – oder auch nur um die Regeln des pokerähnlichen Spiels, das sie mir beigebracht hatten, wirklich zu begreifen. Ohnehin war ich nicht so dumm, sie zur Rede zu stellen. Die beiden Hirten trugen Messer am Gürtel. Ich ahnte, dass sie sie nur zu gerne einsetzen würden, wenn ich ihnen einen Vorwand lieferte, damit sie in ehrenhafter Weise einen Kampf anfangen konnten, ohne dabei ihr strenges Gebot der Gastfreundschaft zu verletzen. Ich schob die Karten von mir und witzelte kläglich, dass ich einfach nicht schnell genug für sie wäre.
    Spiro, der Sohn des Ladeninhabers, schenkte uns Raki nach, stellte einen Teller mit Granatapfelscheiben vor uns hin und warf einen neuen Scheit in

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