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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Beckett
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sagen. »Dein Haus ist wieder so, wie du es hergerichtet hast. Dahin willst du doch sicher zurück, oder? Wir könnten uns vielleicht um die Sache mit dem Obsthain kümmern, wenn du möchtest.«
    Kleine Rose wandte sich von ihm ab und ließ den Blick über die vielen Welten unter ihnen schweifen.
    »Mal ehrlich, Janet: Wie würde es dir gefallen, wenn du dich an keinem anderen Ort aufhalten könntest als hier?«
    Auch dazu fiel Janet nichts ein, weshalb sie Sol Gladheim scharfsinnig und mitfühlend dreinschauen und schweigen ließ.
    Doch Kleine Rose ließ den Blick über die Welten schweifen.
    Ihr fielen ein paar kahle Berge in der Ferne auf, die sie nie zuvor bemerkt hatte. Vielleicht würde sie ja dorthin gehen.

Kapitel 50
    D ie Straßen durchs Gebirge waren allesamt ziemlich heruntergekommen. Der Weg ins Dorf Anachromia war kaum mehr als ein steiniger Pfad, der einen schmalen Pass hinauf- und dann in ein steiniges Tal hinunterführte. Im Talgrund gab es ein paar Felder, aber das Getreide wuchs hier so spärlich, dass sie auf den ersten Blick unbestellt aussahen. Der Himmel über uns war bleigrau.
    Die Dorfstraßen waren verlassen, mit Ausnahme einiger Hühner und Ziegen, die auf den mit Schlaglöchern übersäten Wegen zwischen den Häusern aus grob behauenen Steinen umhertrotteten. Es gab keine spielenden Kinder, keine Gesichter, die aus Fenstern schauten. Die gesamte menschliche Dorfbevölkerung – etwa hundert Männer, Frauen und Kinder – hatte sich auf dem kleinen Dorfplatz versammelt. Unter der Aufsicht eines weißbärtigen Priesters, der ein silbernes Kruzifix in die Höhe hielt, wurde eine Ehebrecherin öffentlich von zwei schwitzenden Soldaten der griechisch-christlichen Armee ausgepeitscht. Neben dem Priester stand der winzige, völlig verwirrte Ehemann der Frau mit einem hirnlosen Lächeln auf den Lippen.
    Bei jedem Hieb schrie die Frau auf. Ihr Mann zuckte zusammen. Der Priester murmelte Gebete. Einige der Dörfler lächelten, andere weinten, wieder andere schrien Flüche. Auf die eine oder andere Art waren alle mit dem soeben stattfindenden Ritual beschäftigt.
    Doch als das Auto auftauchte, wandten alle Dorfbewohner die Köpfe und starrten es an. Hundert abgehärmte, unterernährte Gesichter schauten schweigend zu, wie es sich an ihnen vorbeibewegte. Selbst die Soldaten und der gehörnte Ehemann starrten dem Auto nach, sogar das Opfer der Tortur, das am Pranger hing. Sie alle schauten mit derselben offenen Ungläubigkeit zu, wie die Fremden vorbeifuhren. Lucy und ich saßen steif und aufrecht da, als wir uns ihnen näherten, durch die Menge hindurchfuhren und das Dorf langsam wieder auf der holperigen Straße verließen.
    Wahrscheinlich kam es den Dörflern vor, als würden sie Gespenster sehen, Besucher aus einem sagenumwobenen Zeitalter, als es noch Fernseher, Coca-Cola und einen Bus gegeben hatte, der einmal die Woche nach Sparta fuhr – und als es noch Touristen gegeben hatte, diese sonderbaren, ungelenken, wohlhabenden Geschöpfe, die aus dem Norden herkamen, glotzten und Fotos machten, die so steif und verklemmt wirkten und trotzdem kaum Kleider am Leib trugen.
    Die Dörfler schauten uns nach, bis wir außer Sicht waren.
    Und anschließend nahmen zweifellos alle wieder ihre Rollen in dem Drama ein, das soeben stattfand – und klagten, brüllten, beteten, weideten sich oder schauten streng drein …

    Während wir das Dorf hinter uns ließen und langsam zurück in die Berglandschaft holperten, schwiegen wir beide. Lucy starrte stur geradeaus. Ich starrte stur geradeaus. Dann und wann stellte Lucy mit ausdrucksloser, hohl klingender Stimme eine Frage:
    »Was sind Griechen?«
    »Was ist Hass?«
    »Was sind Männer?«
    Manchmal antwortete ich ihr mürrisch. Meistens ignorierte ich sie. Damals im HESVE-Haus hatte ich Lucy gesagt, dass sie »sie selbst« sein sollte, woraufhin ihr Gesicht plötzlich jeden Anschein von Menschlichkeit verloren hatte. Es mochte mir zuerst so erschienen sein, dass sie meine Anweisung nicht verstanden hatte, aber tatsächlich hatte sie sie brav befolgt. Das wahre Selbst eines Syntec war jenes ausdruckslose Etwas. Sie war langweilig, sie war ermüdender als der langweiligste und hohlköpfigste Mensch, den man sich vorstellen konnte.
    Und doch hatte sie etwas Entschlossenes. Dem Verlust ihres Fleisches begegnete sie mit rücksichtsloser Gleichgültigkeit. Aber es gab anderes, vieles, was sie in Erfahrung bringen wollte.
    »Was sind Frauen?«
    »Warum machen diese

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