Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Baptisten, Mormonen, Siebenten-Tags-Adventisten … Sie alle gingen ohne Zurückhaltung oder Gnade aufeinander los.
Ich streifte scheinbar unbemerkt zwischen alledem umher – wie ein Gespenst, wie jemand, dessen Leben unter einem Schutzzauber stand. Ich sah brennende Dörfer. Ich sah Kreuze, die mit Blut an Mauern geschmiert waren, und in menschliches Fleisch geritzte Halbmonde. Ich sah aufgedunsene Leichen, die in den kraterartigen Ruinen von Moscheen und Kirchen in der Sonne faulten.
Am ruhigen Ufer des Skutarisees, der rein und spiegelglatt unterm strahlend blauen Himmel lag, sah ich sogar einen Mönch mit irrem Blick aus Herzegowina, der die manichäischen Ketzereien der Bogomilen predigte:
»Gott erschuf die Welt des Geistes, doch Satanal schuf das materielle Universum und fing damit die Geister wie ein Fischer mit einem Netz. Alles, was ihr seht und hört und berührt, ist böse und widerwärtig und abscheulich. Selbst jener blaue See, selbst die schönen Berge sind Täuschungen, böse, verdorbene Täuschungen, die euch verleiten sollen, die euch verwirren und euer wahres Selbst vor euch verbergen sollen …«
Dann erschien ein illyrisches Flugzeug über unseren Köpfen, mit unserem Symbol, dem schwarz-weißen Auge, das kalt auf die irrationalen Vorgänge unter sich herabschaute.
Es kam mir so vor, als ob es sich hier um mehr handelte als um einen Kampf zwischen verschiedenen menschlichen Parteien. Es war ein Kampf, den Lucy ebenfalls ausgefochten hatte, ein Kampf um die Natur des Seins selbst, ein Krieg zwischen Körper und Geist, Erscheinung und Substanz: unversöhnliche Gegensätze, die doch so fest miteinander verknüpft waren, dass die Grenzen zwischen ihnen sich nicht klar bestimmen ließen und die Dinge sich immer wieder als Gegenteil dessen entpuppten, als was sie anfangs erschienen waren.
Alle versuchten, den Dingen auf den Grund zu gehen. Doch gleichzeitig versuchten alle um jeden Preis, sich an Äußerlichkeiten festzuklammern. Derwische liefen über brennende Kohlen, Statuen weinten blutige Tränen, Kinder sahen Visionen der Mutter Gottes, blutende Büßer trugen Dornenkronen. Bücher wurden verbrannt, Dämonen wurden an den Pranger genagelt, Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht …
Geist und Körper, Körper und Seele – wie sollte dieser Krieg jemals enden? Wie konnte man jemals Frieden finden, wenn die eigentlichen Gegner sich nicht miteinander versöhnen ließen und doch bei allen Parteien und in jedem Heer zu finden waren, auf ewig aneinandergekettet?
Kapitel 60
D och selbst inmitten dieses Chaos gab es kleine Inseln des Friedens.
I ch kam in ein abgelegenes Dorf in Mazedonien, in dem die Leute ihrem Tagewerk nachgingen, als gäbe es die Außenwelt für sie überhaupt nicht.
Dort freundete ich mich mit einem Dörfler namens Zhavkov an. Er war Witwer und lebte mit seiner Tochter Leta zusammen. Langsam wurde er alt, und es fiel ihm schwer, seinen kleinen Hof zu bewirtschaften. Er bot mir einen Schlafplatz im Heuschober und einen Hocker am Familientisch an, wenn ich für ihn arbeiten würde.
Er war ein langsamer Mann und erwies sich als leicht zufriedenzustellender Arbeitgeber. Wenn ich mich dumm anstellte, freute er sich über das Gefühl der Überlegenheit, das ihm das gab. Und wenn ich besser als er in etwas war, freute ihn das auch. Anstatt sich herabgesetzt zu fühlen, beglückwünschte er sich dazu, dass er so schlau gewesen war, sich einen Gehilfen aus der legendären Stadt zu suchen, deren Einwohner sprechende Maschinen erschaffen und ihre Feinde mit Lichtstrahlen vernichten konnten.
»Vielleicht könnten wir die Tomaten hier drüben anpflanzen«, schlug ich vor. »Da sind sie geschützter und kriegen mehr Wasser ab, wenn es regnet.«
Über solche Vorschläge dachte er immer erst in Ruhe nach. Er machte alles auf eine ganz bestimmte Art, nämlich auf die, auf die sein Vater es gemacht hatte und dessen Vater vor ihm – selbst wenn das bedeutete, dass er sein Feld einmal umrundete, anstatt einfach gerade daran vorbeizugehen. Neue Ideen, die von einem unverstellten Blick auf ein Problem herrührten, kamen ihm deshalb fast wie Zauberei vor.
Meistens lächelte er dann. »Tja, warum eigentlich nicht. Keine schlechte Idee, ganz und gar keine schlechte Idee.«
Und dann strahlte er mich immer an und nickte sehr oft und sehr langsam.
»Man sagt, der alte Zhavkov wäre ein Narr«, lachte er, »aber wer sonst hat einen echten Wissenschaftler aus der Stadt als Gehilfen?
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