Messias-Maschine: Roman (German Edition)
um.
»Kannst du mir sagen – das habe ich mich nämlich schon immer gefragt –, worin der Unterschied zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche besteht?«
Onkel Tomo lächelte. »Tja, da gibt es viele Unterschiede. Zum einen wäre ich nicht mit Nada verheiratet, wenn ich ein katholischer Priester wäre.«
»Aber wo liegen die Unterschiede, was den tatsächlichen Glauben angeht?«
Der Priester lachte leise. »Genau genommen geht es um ein einziges Wort, das lateinische Wort filioque, das die westliche Kirche in ihr Glaubensbekenntnis aufgenommen hat. Das bedeutet und den Sohn. Die westliche Kirche beharrt darauf, dass der Heilige Geist vom Vater und vom Sohne ausgeht. Wir im Osten halten dagegen daran fest, dass der Heilige Geist nur vom Vater ausgeht, wenn auch durch den Sohn. Natürlich gab es auch andere Faktoren, aber das ist der Unterschied zwischen unseren Lehren, der zu der Kirchenspaltung im Jahre 1054 führte.«
Er schaute mich lächelnd und mit einem belustigten Funkeln in den Augen an. Ahnte er, wie ungläubig ich reagieren würde, oder hatte er selbst Probleme damit, diese Dinge ernst zu nehmen?
Marija mischte sich ein. »Du musst wissen, Onkel, Leuten wie mir und George, die in der Stadt aufgewachsen sind, fällt es schon schwer genug, sich überhaupt vorzustellen, dass es Wesenheiten wie den Heiligen Geist oder den Sohn Gottes wirklich gibt. Und wir sind nicht so sehr überzeugt von ihrer Existenz, als dass wir über ihr genaues Verhältnis zueinander debattieren könnten. Meinst du, dass irgendwelche deiner Gemeindemitglieder die Unterschiede zwischen der katholischen und der orthodoxen Glaubenslehre verstehen?«
Onkel Tomo strahlte übers ganze Gesicht. »Nein. Nicht ein Einziger, nehme ich an.«
»Aber sie alle hassen die Katholiken wie die Pest«, meinte Nada mit ihrem schlauen Lächeln.
»O ja«, stimmte Tomo ihr lachend zu, »die hassen sie noch viel mehr als Muslime oder Bogomilen oder sogar Atheisten!«
Vielleicht wäre ihm das Lachen nicht so leicht über die Lippen gekommen, wenn er mit eigenen Augen all die Schrecken der Heiligen Kriege gesehen hätte. Trotzdem war die Fröhlichkeit von Onkel Tomo und seiner Frau ansteckend – und Marija und ich lachten beide mit.
»Was aber die Frage des Glaubens angeht«, fuhr Onkel Tomo fort, »ihr wisst ja, dass ihr aus der Stadt ganz andere Vorstellungen habt als wir. Ihr glaubt nichts, solange man es euch nicht beweist, habe ich recht?«
»Nun ja«, antwortete Marija, »die Wissenschaft ist weit gekommen, indem sie nur Bausteine verwendet hat, die hinreichend geprüft und getestet worden sind.«
»Natürlich, keine Frage«, gab ihr Onkel zurück, »aber unsere Vorstellung von Glauben ist etwas ganz anderes. Für uns ist das eine Frage des Willens. Natürlich ist es schwer, an die Auferstehung des Fleisches zu glauben, natürlich ist es schwer, an die Heilige Dreifaltigkeit zu glauben. Welche Beweise gibt es schon dafür? Aber wir betrachten das als eine Herausforderung. Wir kämpfen darum, uns zum Glauben zu bringen.«
»Es muss sogar noch schwieriger sein«, erwiderte ich, »wenn es nur ein paar Kilometer weiter Dörfer gibt, in denen alle an Mohammed glauben und die Heilige Dreifaltigkeit als Polytheismus verurteilt wird.«
»Natürlich. Und noch schwerer ist es, wenn ein kleines Stück weiter an der Küste eure wundersame Stadt liegt: Dort ist Religion an sich angeblich überholt, und die Bewohner können die Macht ihrer Art, zu denken, mit allerlei erstaunlichen Wunderdingen unter Beweis stellen – zum Beispiel mit sprechenden Maschinen oder mit Flugzeugen, die einfach verschwinden können.«
»Aber Onkel«, fragte Marija, »glaubst du denn wirklich, dass deine Ansichten richtig und die aller anderen falsch sind?«
Onkel Tomo und Tante Nada wechselten belustigte Blicke. Er zuckte mit den Schultern.
»Wer weiß das schon? Aber eines möchte ich feststellen. Jeder muss an Dinge glauben, die sich nicht beweisen lassen. Selbst ihr Leute aus der Stadt kommt insgeheim nicht darum herum, weil eure Wissenschaft euch nicht sagt, wie man leben und wie man sterben soll. Habe ich recht?«
Marija und ich nickten. Solche Überlegungen hatten uns immerhin zur Holistischen Liga und zur AMG gebracht.
»Tja, und es gibt einen Haufen guter Argumente dafür, dass innerhalb einer Gemeinschaft eine Art von Konsens darüber bestehen sollte, was man glaubt. Hier haben wir das, und alles ist friedlich. Unten in Albanien liegen die Dinge
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