Meteor
Rachel. Sie hatte Tolland über die Schulter geschaut. »Das sieht ja aus, als ginge der Meteoritenschacht durch den ganzen Eisschelf hindurch bis hinunter ins Meer!«
Tolland stand wie versteinert. Sein Verstand weigerte sich, die einzige logische Erklärung anzuerkennen, und doch wusste er, dass es die Wahrheit war. Auch Corky stand der Schock ins Gesicht geschrieben.
»Da hat jemand von unten in den Schelf hochgebohrt!«, rief Norah außer sich vor Zorn. »Der Brocken ist künstlich von unten ins Eis eingebracht worden!«
So gern der Idealist in Tolland Norah widersprochen hätte, so gut wusste der Wissenschaftler in ihm, dass sie Recht hatte. Zwischen dem Milne-Eisschelf und dem Grund des Eismeers bestand ausreichend Abstand, dass ein Tauch- oder U-Boot darunter manövrieren konnte. Im Wasser wog alles wesentlich weniger. Selbst ein relativ kleines Fahrzeug wie Tollands Einmann-Forschungs-Tauchboot hätte den Meteoriten mit seinen Greifarmen transportieren können. Das U-Boot hätte vom offenen Meer her anfahren, unter den Schelf abtauchen und dann einen Schacht nach oben ins Eis treiben können. Anschließend hätte man mit einem verlängerten Greifarm oder mit luftgefüllten Ballons den Meteoriten den Schacht hinaufdrücken können. Wenn der Meteorit an Ort und Stelle war, würde das Meerwasser langsam gefrieren. Sobald der Schacht durch das Eis so weit verengt worden war, dass der Brocken nicht mehr herausfallen konnte, würde das Boot den Greifarm wieder einziehen und verschwinden. Mutter Natur würde auch den Rest der Bohrung verschließen, und sämtliche Spuren des Betrugs wären verwischt.
»Aber wozu, um Gottes willen?«, rief Rachel. Sie nahm Tolland den Ausdruck aus der Hand und studierte ihn. »Warum sollte jemand so etwas tun?«, fragte sie. »Kann es nicht doch ein Gerätefehler sein?«
»Niemals! Außerdem liefert uns der Ausdruck die perfekte Erklärung für die Leuchtbakterien im Wasser«, sagte Norah.
Wie Tolland zugeben musste, war Norahs Darlegung von erschreckender Logik. Phosphoreszierende Dinoflagellaten wären in der Bohrung instinktiv nach oben geschwommen und direkt unter dem Meteoriten im Eis eingefroren. Später, als Norah den Brocken aufheizte, war die Eisschicht unmittelbar unter dem Meteoriten ebenfalls geschmolzen. Das Plankton wurde freigesetzt, schwamm wieder seinem Instinkt gehorchend nach oben und gelangte bis an die Oberfläche in der Kuppel, wo es aus Mangel an Salzwasser allmählich einging.
»Das ist doch Wahnsinn!«, rief Corky. »Die NASA hat einen Meteoriten mit extraterrestrischen Fossilieneinschlüssen! Weshalb sollte es darauf ankommen, wo er gefunden wird? Weshalb soll sich die NASA die Mühe machen, das Ding in einen Eisschelf einzulöten?«
»Was weiß ich?«, wehrte sich Norah. »Ein GPR-Ausdruck lügt jedenfalls nicht. Man hat uns reingelegt! Dieser Meteorit ist kein Bruchstück des Jungersol-Meteoriten. Er kann noch nicht lange im Eis stecken, höchstens ein Jahr, sonst wäre das Plankton hin!«
Sie war schon damit beschäftigt, ihre Gerätschaften einzupacken und auf dem Schlitten zu verstauen. »Wir müssen schleunigst zurück und etwas unternehmen! Der Präsident ist drauf und dran, sich mit falschen Daten vor die Kameras zu stellen! Die NASA hat ihn ausgetrickst!«
»Moment mal!«, rief Rachel. »Wir sollten mindestens noch eine weitere Aufnahme machen. Das ergibt doch alles keinen Sinn!
Wer wird uns glauben?«
»Jeder!«, rief Norah. »Ich werde in die Kuppel marschieren und noch eine Kernbohrung vom Grund des Meteoritenschachts ziehen. Wenn ich Salzwasser hinaufhole, wird auch der letzte Zweifler überzeugt sein, das garantiere ich Ihnen!«
Norah löste die Krallenbremsen des Geräteschlittens, schwang ihn herum und stapfte in Richtung Kuppel. Die Krallenstiefel ins Eis gestemmt, zog sie den Schlitten mit bemerkenswerter Leichtigkeit hinter sich her.
»Los, voran!«, rief sie und zog die angeseilte Mannschaft mit sich aus dem schwindenden Licht des beleuchteten Kreises. »Ich weiß nicht, was die NASA hier eigentlich abzieht, aber ich habe keine Lust, mich als Bauer in diesem Schachspiel…«
Norah Mangors Kopf flog in den Nacken, als wäre sie mit der Stirn gegen einen unsichtbaren Balken gelaufen. Sie stieß einen gutturalen Schrei aus, wankte und fiel rückwärts aufs Eis. Fast gleichzeitig wurde Corky herumgerissen. Mit einem Aufschrei griff er sich an die Schulter und ging schmerzverkrümmt zu Boden.
Ein kleiner Gegenstand pfiff knapp
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