Metro2033
entgegengegangen und habe dich aufgehoben, als du mit der Leiche deines Freundes durch den Tunnel gekrochen bist.«
»Wirklich deshalb? Ich dachte, Sie hätten den Schuss gehört.«
»Habe ich auch. Hier gibt es ein starkes Echo. Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich jedes Mal, wenn im Tunnel geschossen wird, dort hineingehe? Da hätte mein Lebensweg ein viel früheres und sicher ruhmloses Ende gefunden.«
»Und was war das für ein Mann?«
»Ich kann nicht sagen, wer es war. Ich habe ihn nie zuvor gesehen oder mit ihm gesprochen. Aber ich habe sofort seine enorme Kraft gespürt. Er wies mich an, einem jungen Mann zu helfen, der sich im Nordtunnel zeigen würde, und dann erschien dein Bild vor mir. Es war nur ein Traum, aber das Gefühl der Wirklichkeit war so groß, dass ich, als ich aufwachte, nicht gleich die Grenze zwischen Vision und Realität erfasste. Es war ein hünenhafter Mann mit glänzendem, kahl geschorenem Schädel, ganz in Weiß gekleidet. Kennst du ihn?«
Artjom zuckte zusammen. Alles verschwamm vor seinen Augen, und er sah das Bild, das Khan beschrieb, genau vor sich. Es war Hunter. Die gleiche Vision. »Ja, ich kenne ihn.«
»Er ist in meine Träume eingedrungen. Üblicherweise verzeihe ich das niemandem. Aber bei ihm war es anders. Er brauchte meine Hilfe genauso wie du. Er befahl mir nichts, forderte nicht, ich solle mich seinem Willen unterwerfen. Es war eher eine nachdrückliche Bitte. Er versteht es nicht, den Willen eines Fremden zu beeinflussen oder durch fremde Gedanken zu wandern. Er war einfach in einer schweren, sehr schweren Lage, er dachte verzweifelt an dich und suchte eine freundlich gesinnte Hand, eine Schulter zum Ausruhen. Ich habe ihm diese Hand gereicht und ihn an meiner Schulter ruhen lassen. Und dann bin ich dir entgegengegangen.«
Über Artjom schlug eine Woge von Gedanken herein, sie brodelten, wurden einer nach dem anderen an die Oberfläche seines Bewusstseins gespült, lösten sich wieder auf, bevor er sie in Worte übersetzt hatte. Seine Zunge war wie erstarrt. Lange brachte er kein Wort hervor. Hatte dieser Mann tatsächlich von seiner Ankunft gewusst? Hatte Hunter ihn wirklich auf irgendeine Weise informiert? War Hunter am Leben, oder hatte nur sein Schatten zu ihnen gesprochen? Wenn er Khan glaubte, musste er auch an die albtraumhaften Bilder eines jenseitigen Lebens glauben, die dieser ihm vorgezeichnet hatte. Dabei war es doch so viel bequemer, sich einzureden, dass er einfach verrückt war ... Aber was noch viel wichtiger war: Sein Gegenüber wusste etwas von der Aufgabe, die Artjom zu erfüllen hatte. Er nannte es Mission, und obwohl er deren Sinn nicht ganz erfasste, begriff er doch die Schwere und Bedeutung, fühlte mit Artjom, wollte ihm sein Schicksal erleichtern.
»Wohin gehst du?«, fragte Khan leise, als habe er seine Gedanken gelesen. Dabei blickte er Artjom ruhig in die Augen. »Sag mir, wohin dein Weg führt, und ich helfe dir, den nächsten Schritt zu machen, wenn dies in meiner Macht steht. Er hat mich darum gebeten.«
»Die Polis«, stieß Artjom hervor. »Ich muss zur Polis.«
»Und wie willst du von dieser gottverlassenen Station aus dorthin gelangen? Mein Freund, du hättest vom Prospekt Mira aus den Ring entlanggehen sollen, bis zur Kurskaja oder zur Kiewskaja.«
»Das ist das Gebiet der Hanse. Ich kenne dort niemanden. Ich wäre nicht durchgekommen. Egal, jetzt kann ich ohnehin nicht mehr zum Prospekt Mira zurück - ein zweites Mal würde ich es nicht durch diesen Tunnel schaffen. Ich will zur Turgenewskaja. Auf einem alten Plan habe ich dort einen Übergang zum Sretenski Buiwar gesehen. Von dort führt eine nicht fertig gestellte Linie, über die man bis zur Trubnaja kommt.« Artjom zog das verkohlte Blatt mit der Karte auf der Rückseite hervor. »Auf der Karte gibt es eine Verbindung zum Zwetnoi Buiwar, und wenn alles gut läuft, komme ich von dort direkt zur Polis.«
Khan schüttelte traurig den Kopf. »Nein, so kommst du nicht zur Polis. Diese Pläne lügen. Sie wurden lange bevor das alles passierte gedruckt. Sie sprechen von Linien, die niemals fertig gebaut wurden, Stationen, die eingefallen sind und unter sich Hunderte unschuldiger Menschen begraben haben. Sie erzählen nicht von den furchtbaren Gefahren, die auf dem Weg lauern und viele Routen unpassierbar machen. Dein Plan ist dumm und naiv wie ein dreijähriges Kind. Gib ihn mir.« Er streckte die Hand aus.
Folgsam gab ihm Artjom das Blatt. Khan zerknüllte es und
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