Metro2033
anderen zur Kiewskaja, von der Artjom nur wusste, dass sie vor allem von jenen Kaukasiern bewohnt wurde, die er in Kitai-gorod und in den Gefängniszellen der Faschisten an der Puschkinskaja gesehen hatte. Doch eigentlich waren das ganz normale Menschen, die man nicht zu fürchten brauchte.
Die Kantine befand sich in dem Zelt ganz in der Mitte. Offenbar war die Mittagszeit schon vorüber, denn es saßen nur wenige Menschen an den groben, selbstgezimmerten Tischen. Melnik ließ Artjom an einem davon Platz nehmen und kam nach wenigen Minuten mit einer Schüssel zurück, in der ein unappetitlicher grauer Brei dampfte. Unter dem aufmunternden Blick des Stalkers überwand sich Artjom, einen Löffel zu probieren, und legte ihn erst wieder weg, als die Schüssel leer war. Wider Erwarten schmeckte ihm die hiesige Spezialität ganz ausgezeichnet, obwohl er nicht hätte sagen können, woraus sie eigentlich bestand. Eines war sicher: An Fleisch hatte der Koch nicht gespart.
Als er fertig gegessen hatte, schob Artjom den Napf beiseite und blickte sich zufrieden um. Am Nachbartisch saßen noch immer zwei Männer und unterhielten sich leise miteinander. Obwohl sie gewöhnliche gefütterte Jacken anhatten, stellte Artjom sie sich unwillkürlich in Schutzanzügen vor, mit tragbaren Maschinengewehren über der Schulter.
Er bemerkte den aufmerksamen Blick, den einer der beiden Melnik zuwarf, ohne dabei ein Wort mit ihm zu wechseln. Der Mann musterte auch Artjom kurz und wandte sich dann wieder in aller Ruhe seinem Gesprächspartner zu.
Einige Minuten lang herrschte Schweigen. Artjom versuchte mit Melnik ein Gespräch zu beginnen, doch bekam er von ihm nur zögernde und einsilbige Antworten.
Dann erhob sich der Mann mit der Jacke, trat an ihren Tisch und beugte sich zu Melnik herab. »Was sollen wir mit der Kiewskaja machen? Es wird lang sam Zeit...«
»Na schön, Artjom, ruh dich jetzt aus«, sagte darauf der Stalker. »Das dritte Zelt von hier ist für Gäste bestimmt. Ein Bett für dich ist dort bereits bezogen, dafür habe ich gesorgt. Ich bleibe noch ein wenig hier sitzen. Es gibt etwas zu besprechen.«
Mit dem altbekannten Gefühl, dass man ihn fortschickte, damit er nicht die Gespräche der Erwachsenen mit anhörte, erhob sich Artjom und schlenderte zum Ausgang. Er tröstete sich damit, dass er nun selbst die Station erkunden konnte.
Und schon bald entdeckte er eine Reihe weiterer seltsamer Details. An der Station herrschte perfekte Ordnung. All das Gerumpel verschiedenster Art, das sich an den meisten Stationen unvermeidlich anhäufte, fehlte hier völlig. Überhaupt machte die Smolenskaja nicht den Eindruck einer bewohnten Station. Irgendwie musste Artjom an eine Illustration aus einem Geschichtslehrbuch denken, auf der ein Kriegslager römischer Legionäre abgebildet war. Ein rechteckiger, symmetrisch angelegter Raum, durch den man von allen Seiten hindurchblicken konnte. Nichts Überflüssiges war dort, überall Wachposten sowie befestigte Ein- und Ausgänge
Sein Spaziergang dauerte nicht lange. Schon nach wenigen Minuten bemerkte er die misstrauischen Blicke der Bewohner. Also zog er sich in das Gästezelt zurück, wo tatsächlich eine bezogene Liege auf ihn wartete. In einer Ecke stand eine Plastiktüte, an der ein Zettel mit seinem Namen befestigt war. Artjom ließ sich auf der quietschenden Liege nieder und öffnete die Tüte. Es waren seine persönlichen Habseligkeiten aus dem Rucksack. Er kramte einen Augenblick darin herum, dann zog er das Kinderbuch heraus. Ob sie seinen kleinen Schatz mit dem Geigerzähler kontrolliert hatten? Das Gerät hatte sicher nervös zu klicken begonnen.
Artjom verdrängte den Gedanken. Er blätterte ein paar Seiten durch, betrachtete einige der ausgebleichten Bilder. Er zögerte, sich erneut das Foto anzusehen.
Das Foto ...
Was immer jetzt auch geschah, mit ihm, der WDNCh, der gesamten Metro: Er musste zu seiner Station zurückkehren und Suchoj finden. Artjom drückte die Lippen gegen das Foto, legte es zurück und verstaute das Buch im Rucksack. Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, als ob sich etwas in seinem Leben allmählich wieder zurechtrückte. Im nächsten Augenblick war er eingeschlafen.
Als Artjom die Augen öffnete, aufstand und das Zelt verließ, begriff er zuerst gar nicht, wo er war. Die Station sah völlig anders aus. Nur etwa zehn Zelte standen noch da, die anderen waren zerstört oder verbrannt. Die Wände waren schwarz vom Ruß und mit Einschlaglöchern
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